Medicus 02 - Der Schamane
er. »Mein Gott, du bist es wirklich.« Er hatte keinen Koffer, nur einen Segeltuchsack mit einer Zugschnur, den Shaman nun in seinen Buckboard warf.
Jay lehnte sich im Sitz zurück und schien die Umgebung förmlich einzuatmen. »Wie hab’ ich das alles vermisst!« Er warf einen Blick auf die Behandlungstasche und nickte. »Lillian hat mir geschrieben, dass du jetzt Arzt bist. Ich kann dir gar nicht sagen, wie stolz ich war, als ich das las. Deinen Vater muss...« Er fuhr nicht fort. Dann sagte er: »Dein Vater stand mir näher als meine Brüder.«
»Er hat sich immer glücklich geschätzt, dich zum Freund zu haben.«
Geiger nickte. »Erwarten sie dich?«
»Nein. Ich habe es selber erst vor wenigen Tagen erfahren. Unionstruppen mit eigenem medizinischen Personal haben mein Lazarett übernommen und zu uns gesagt, wir könnten nach Hause gehen. Ich habe mir sofort Zivilkleider angezogen und mich in einen Zug gesetzt. In Washington hieß es, Lincolns Leiche sei in der Rotunde des Kapitols aufgebahrt, und ich bin hingegangen. Eine solche Menschenmenge hast du noch nie gesehen. Ich bin den ganzen Tag angestanden.«
»Hast du seine Leiche gesehen?«
»Einen kurzen Augenblick lang. Er wirkte sehr würdig. Eigentlich wollte man stehenbleiben und etwas zu ihm sagen, aber die Menge schob einen weiter. Mir fiel ein, dass diese Menge mich in Stücke reißen würde, wenn sie die graue Uniform in meinem Sack sehen könnte.« Er seufzte. »Lincoln wäre ein Versöhner gewesen. Jetzt fürchte ich, dass die, die jetzt an der Macht sind, seine Ermordung als Vorwand benutzen werden, um den Süden in den Staub zu stoßen.« Er brach ab, denn Shaman war in die Zufahrt eingebogen, die von der Straße zum Haus der Geigers führte. Shaman ließ Boss bis zur Seitentür fahren, die die Familie immer benutzte. »Kommst du mit rein?« fragte Jay. Shaman lächelte und schüttelte den Kopf. Er wartete, bis Jay den Segeltuchsack aus dem Wagen genommen hatte und steif die Treppe hinaufging. Es war sein Haus, und er betrat es, ohne anzuklopfen, während Shaman Boss leise zuschnalzte und losfuhr.
Tags darauf wartete Shaman, bis der letzte Patient sein Behandlungszimmer verlassen hatte, dann ging er auf dem Langen Weg zu den Geigers. Als er klopfte, öffnete Jason die Tür, und Shaman sah sofort an seinem Gesicht, dass Rachel mit ihm gesprochen hatte. »Komm herein!«
»Vielen Dank, Jay.«
Es half nicht viel, dass die beiden Kinder Shamans Stimme bereits erkannt hatten und aus der Küche gelaufen kamen, um sich an seine Beine zu klammern. Lillian stürzte hinter ihnen her und zerrte sie mit sich, während sie Shaman zur Begrüßung zunickte. Obwohl Joshua und Hattie protestierten, brachte sie die beiden in die Küche zurück.
Jay führte Shaman ins Wohnzimmer und deutete auf einen der Rosshaarsessel, auf den Shaman sich gehorsam setzte. »Meine Enkel haben Angst vor mir.«
»Sie kennen dich noch nicht richtig. Lillian und Rachel haben ihnen die ganze Zeit von dir erzählt. Opa hier und Zadik dort. Sobald sie dich als diesen guten Opa erkannt haben, wird alles gut.« Shaman fiel ein, dass Jay Geiger es vielleicht nicht schätzte, unter den gegebenen Umständen über seine Enkel belehrt zu werden, und er versuchte deshalb, das Thema zu wechseln. »Wo ist Rachel?« »Sie ist spazierengegangen. Sie... hat sich aufgeregt.«
Shaman nickte. »Sie hat dir von mir erzählt. Weißt du, ich habe sie mein ganzes Leben lang geliebt. Gott sei Dank bin ich kein Junge mehr... Jay, ich weiß, was du befürchtest.«
»Nein, Shaman. Bei allem Respekt, das wirst du nie wissen. Diese beiden Kinder haben das Blut von Hohepriestern in ihren Adern. Sie müssen als Juden erzogen werden.«
»Das werden sie auch. Wir haben das ausführlich besprochen. Rachel wird ihren Glauben nicht aufgeben. Joshua und Hattie können von dir erzogen werden, von dem Mann, der auch ihre Mutter erzogen hat. Ich möchte gerne mit ihnen Hebräisch lernen; ich hatte es eine Zeitlang im College belegt.«
»Wirst du konvertieren?«
»Nein... Eigentlich denke ich daran, ein Quäker zu werden.« Geiger schwieg. »Wenn deine Familie in einer Stadt leben würde, in der es nur deine Glaubensgenossen gäbe, könntest du Verbindungen erwarten, wie du sie dir für deine Kinder wünschst. Aber du hast die Deinen in die Welt hinausgeführt.«
»Ja, dafür übernehme ich die Verantwortung. Und jetzt muss ich sie zurückführen.«
Shaman schüttelte den Kopf. »Sie werden nicht mitkommen. Sie
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