Medicus 02 - Der Schamane
erheben, wie er es zuvor nur ein einziges Mal erlebt hatte, als er in Cincinnati den Tunnel zwischen der Medical School und dem South-western Ohio Hospital als frischgebackener Arzt durchschritt. Shaman hatte erwartet, dass Rachel auf ihrer Hochzeitsreise nach Chicago oder in eine andere Großstadt würde fahren wollen, aber sie hatte ihn davon reden hören, dass Sauks und Mesquakies nach Iowa zurückgekehrt seien, und zu seiner freudigen Überraschung fragte sie ihn, ob sie nicht die Indianer besuchen könnten.
Sie brauchten ein Lasttier für die Vorräte und das Übernachtungsgepäck. Der Schmied Paul Williams hatte einen gutmütigen, grauen Wallach, den Shaman sich für elf Tage mietete. Tama, die Indianerstadt, lag etwa hundert Meilen entfernt, und Shaman rechnete mit je etwa vier Tagen für die Hin- und Rückreise und einigen Tagen für den Aufenthalt.
Schon wenige Stunden nach ihrer Hochzeit brachen sie auf, Rachel auf Trude und Shaman auf Boss, hinter sich am Zügel das Packpferd, das auf den Namen Ulysses hörte, »ohne General Grant zu nahe treten zu wollen«, wie Paul Williams sagte.
Shaman wäre über Nacht in Rock Island geblieben, aber sie waren für eine Reise zu Pferd gekleidet, nicht für ein Hotel, und Rachel wollte lieber in der offenen Prärie schlafen. Also brachten sie die Pferde mit der Fähre über den Fluss und ritten noch etwa zehn Meilen über Davenport hinaus.
Sie folgten einer schmalen, staubigen Straße zwischen weit ausgedehnten Feldern mit gepflügter, schwarzer Erde, doch es gab auch noch Flecken unberührter Prärie zwischen dem kultivierten Land. Auf einem solchen Stück unversehrter Grasnarbe, durch das ein Bach plätscherte, hielt Rachel das Pferd an und winkte, um Shamans Aufmerksamkeit auf die Stelle zu lenken. »Können wir hier bleiben?«
»Lass uns erst das Farmhaus suchen!«
Sie mussten noch fast eine Meile reiten. In der Umgebung des Anwesens wurde aus dem Grasland wieder Ackerboden, der später sicher Mais tragen würde. Im Hof bellte ein gelber Hund die Pferde an. Der Farmer reparierte gerade seine Pflugschar und runzelte argwöhnisch die Stirn, als Shaman ihn um Erlaubnis bat, am Bach übernachten zu dürfen. Doch als Shaman ihm eine Bezahlung anbot, winkte er ab. »Woll’n Sie ein Feuer anzünden?«
»Eigentlich schon. Es ist ja alles grün.«
»O ja, es wird sich nicht ausbreiten. Aus dem Bach können Sie trinken. Folgen Sie ihm ein Stück, dann finden Sie abgestorbene Bäume für Feuerholz.«
Sie dankten ihm und ritten zurück, bis sie ihre Stelle gefunden hatten. Gemeinsam nahmen sie den Pferden die Sättel ab und lösten die Riemen, mit denen das Gepäck befestigt war. Shaman ging viermal zu den abgestorbenen Bäumen, um Holz zu holen, und Rachel richtete in der Zwischenzeit das Lager her. Sie breitete ein altes Büffelfell aus, das ihr Vater vor Jahren von Steinhund gekauft hatte. Braunes Leder glänzte an den Stellen, wo das Fell bereits abgeschabt war, aber es taugte gerade recht, um ihre Körper vor der nackten Erde zu schützen. Über das Büffelfell breitete sie zwei Decken aus Cole-Wolle, denn der Sommer war noch einen Monat entfernt.
Shaman schichtete das Holz zwischen einige Steinen und zündete ein Feuer an. Er schüttete Kaffee in einen Topf, goss Bachwasser darüber und stellte das Gefäß aufs Feuer. Sie setzten sich auf ihre Sättel und aßen die Reste ihres Hochzeitsschmauses: in Scheiben geschnittenes, rosa Milchlamm, Bratkartoffeln und kandierte Karotten. Zum Nachtisch gab es Stücke vom Hochzeitskuchen mit Whiskeyglasur, und danach saßen sie am Feuer und tranken ihren Kaffee schwarz. Die Nacht brach herein. Am Himmel begannen die Sterne zu funkeln, und ein Sichelmond stieg langsam über dem flachen Land hoch. Bald darauf stellte Rachel ihre Tasse weg, nahm Seife, Waschlappen und Handtuch und verschwand in der undurchdringlicher werdenden Dunkelheit. Es würde nicht das erstemal sein, dass sie sich liebten, und Shaman wunderte sich, dass er so verlegen war. Er zog sich aus und ging zu einer anderen Stelle am Bach, um sich hastig zu waschen, dann wartete er zwischen Decke und Büffelfell auf sie. Ihre Haut war noch kalt vom Wasser, als sie sich zu ihm legte, doch sie erwärmte sich schnell. Er wusste, dass sie die Stelle für ihr Nachtlager so gewählt hatte, dass es außerhalb des Lichtkreises des Feuers lag, doch es machte ihm nichts aus. Er konnte sie fühlen, und es gab nur noch ihre Hände, ihre Münder und ihre Leiber. Zum erstenmal
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