Medicus 03 - Die Erben des Medicus
müssen neu verfugt, Dach und Fundament saniert werden. Und das Maklerbüro gibt unumwunden zu, daß ein neuer Heizkessel benötigt wird. Es ist Unsinn, Tom.«
»Aber ganz im Gegenteil. Das Haus ist wie geschaffen für zwei erfolgreiche Ärzte. Als Ausdruck ihres Selbstbewußtseins.« Weder er noch sie hatten viel gespart. Da R.J. einen Juraabschluß gemacht hatte, bevor sie das Medizinstudium begann, konnte sie nebenbei etwas Geld verdienen, und zwar so viel, daß sie ihre medizinische Ausbildung abschließen konnte, ohne allzu große Schulden machen zu müssen. Aber Tom hatte bereits Schulden in beängstigender Höhe. Trotzdem argumentierte er hartnäckig und wortreich, daß sie das Haus kaufen sollten. Er erinnerte sie daran, daß er als Chirurg inzwischen sehr gut verdiente, und beharrte darauf, daß sie sich das Haus leicht würden leisten können, wenn sie ihr geringeres Gehalt zu dem seinen dazurechneten. Er wiederholte es immer und immer wieder.
Sie waren frisch verheiratet, und sie war noch vernarrt in ihn. Er war als Mensch nicht so gut wie als Liebhaber, aber das wußte sie damals noch nicht, und sie hörte ihm ernst und beeindruckt zu. Schließlich gab sie verwirrt nach. Sie gaben eine stattliche Summe für die Einrichtung aus, darunter Antiquitäten und Beinaheantiquitäten. Auf Toms Drängen kauften sie einen Stutzflügel, weniger, weil R.J. Klavier spielte, sondern weil er perfekt ins Musikzimmer paßte. Ungefähr einmal im Monat kam R.J.s Vater mit dem Taxi in die Brattle Street und gab dem Fahrer ein großzügiges Trinkgeld, damit er ihm seine sperrige Gambe ins Haus trug. R.J.s Vater war froh, daß sie etabliert war, und sie spielten lange, gefühlvolle Duette. Die Musik überdeckte viele Schrammen, die von Anfang an da waren, und ließ das große Haus weniger leer erscheinen. Da sie und Tom fast immer außer Haus aßen, hatten sie keine feste Hausangestellte. Eine schweigsame schwarze Frau namens Beatrix Johnson kam montags und donnerstags und hielt das Haus sauber, wobei sie nur selten etwas zerbrach. Ein Gärtnerservice kümmerte sich um Rasen und Bepflanzung. Sie hatten kaum Gäste. Kein Schild an der Mauer ermutigte Patienten, durch das Gartentor zu treten. Der einzige Hinweis auf die Bewohner waren zwei kleine Kupferschildchen, die Tom am rechten Pfosten des hölzernen Türstocks befestigt hatte.
THOMAS ALLEN KENDRICKS, M.D.
UND ROBERTA J. COLE, M.D.
Damals nannte sie ihn noch Tommy.
Nach ihrer Unterredung mit Dr. Ringgold machte sie ihre Morgenvisite. Leider hatte sie nie mehr als ein oder zwei Patienten auf den Stationen. Sie war Allgemeinärztin mit einem speziellen Interesse für hausärztliche Belange in einem Krankenhaus, das keine allgemeine Abteilung hatte. Das machte sie zu einem Hansdampf in allen Gassen, einem Allroundspieler ohne spezielle Klassifikation. Ihre Tätigkeit für das Krankenhaus und die Medical School war keiner speziellen Abteilung zuzuordnen; so untersuchte sie zwar Schwangere, doch jemand aus der Geburtshilfeabteilung brachte die Babys zur Welt, und ebenso überwies sie ihre Patienten fast immer an einen Chirurgen, einen Gastroenterologen oder an einen anderen der mehr als ein Dutzend Fachärzte. Meistens sah sie den Patienten nie wieder, denn die Nachfolgebehandlung wurde von dem Spezialisten oder dem jeweiligen Hausarzt übernommen, und normalerweise kamen ins Krankenhaus ohnedies nur Patienten mit Problemen, die eine hochentwickelte Technik erforderten. Früher hatten Oppositionsgeist und das Gefühl, Neuland zu erschließen, ihren Aktivitäten am Lemuel Grace Hospital Würze verliehen, aber inzwischen hatte sie keine rechte Freude mehr an ihrer ärztlichen Arbeit. Sie verschwendete viel zu viel Zeit damit, Versicherungsformulare zu prüfen und auszufüllen - ein spezielles Formular, wenn jemand Sauerstoff brauchte, ein spezielles Formular für dies, ein spezielles Kurzformular für das, in zweifacher, in dreifacher Ausfertigung, und von jeder Versicherungsgesellschaft ein anderes Formular. Ihre Patientengespräche waren beinahe zwangsläufig unpersönlich und kurz. Gesichtslose Effizienzexperten bei den einzelnen Versicherungsgesellschaften hatten festgelegt, wieviel Zeit und wie viele Besuche den Patienten zustanden, die ohnehin schnell weitergeschickt wurden zu Laboruntersuchungen, zum Röntgen, zum Ultraschall, zur Kernspintomographie, zu all jenen Prozeduren, die den Großteil der diagnostischen Arbeit leisten und den Behandelnden vor
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