Medicus 03 - Die Erben des Medicus
kurz gearbeitet hatte.
Einige Tage später stand Toms Auto bereits in der Garage, als R.J. abends vom Krankenhaus kam. Sie fand ihn in der Küche am Tisch, wo er ein Bier trank und fernsah.
»Hallo! Hat die Lorentz dich angerufen?« Er schaltete den Fernseher aus.
»Hallo! Suzanne? Nein, ich habe noch nichts von ihr gehört«
»Mich hat sie angerufen. Sie will, daß ich Betts' medizinisch-juristischer Beistand werde. Aber das kann ich nicht. Ich gehöre offiziell zum Kreis ihrer behandelnden Ärzte, und das würde einen Interessenskonflikt darstellen, nicht?«
»Ja, das würde es.«
»Willst du? Ihr medizinisch-juristischer Beistand werden, meine ich.«
Er hatte zugenommen und sah aus, als würde er nicht genug schlafen. Auf dem Hemd hatte er Kekskrümel. Es machte R.J. traurig, mit ansehen zu müssen, wie ein wichtiger Bestandteil seines Lebens dahinstarb.
»Ja, das wird sich machen lassen.«
»Danke!«
»Nichts zu danken«, sagte sie, ging hinauf in ihr Zimmer und zu Bett.
Max Roseman hatte eine lange Rekonvaleszenz vor sich und deshalb beschlossen, in den Ruhestand zu gehen. R.J. erfuhr dies nicht von Sidney Ringgold, denn von ihm gab es überhaupt keine offizielle Verlautbarung. Aber Tessa kam strahlend mit der Nachricht ins Zimmer. Sie wollte ihre Quelle nicht verraten, doch R.J. hätte wetten mögen, daß Tessa es von Bess Harrison erfahren hatte, Max Rosemans Sekretärin. »Es heißt, Sie gehören zu denen, die ernsthaft als Dr. Rosemans Nachfolger in Frage kommen«, sagte Tessa. »O Mann! Ich glaube, Sie haben eine echte Chance. Ich glaube, der Posten des stellvertretenden Direktors wäre für Sie die erste Sprosse auf einer langen, langen Leiter. Wollen Sie lieber Dekan der Medical School oder medizinischer Direktor des Krankenhauses werden? Aber egal, wo Sie landen, werden Sie mich dorthin mitnehmen?«
»Vergessen Sie es! Ich werde diese Stelle nicht bekommen. Aber Sie werde ich überallhin mitnehmen. Sie hören so viele Gerüchte. Und Sie holen mir jeden Morgen meinen Kaffee, Sie Dummkopf!«
Es war nur eins von vielen Gerüchten, die durch das Krankenhaus schwirrten. Hin und wieder machte jemand eine schlaue Bemerkung und gab R.J. damit zu verstehen, alle Welt wisse, daß ihr Name auf einer Liste stehe. Sie kam nicht auf die Idee, den Atem anzuhalten. Sie wußte nicht einmal, ob sie die Stelle so interessierte, daß sie sie annehmen würde, falls man sie ihr anbot.
Elizabeth hatte bald so viel Gewicht verloren, daß R.J. für kurze Zeit eine Ahnung davon bekam, wie sie als das schlanke junge Mädchen ausgesehen haben mußte, das Tom geliebt hatte. Ihre Augen wirkten größer, die Haut wurde durchscheinend. R.J. wußte, daß sie auf der Schwelle zur Auszehrung stand. Zwischen den beiden herrschte eine eigenartige Vertrautheit, eine resignative Einsicht, die sie intimer verband als Schwestern. Teilweise rührte das daher, daß sie Erinnerungen an denselben Geliebten teilten. Dabei versuchte R.J., sich Elizabeth und Tom nicht beim Sex vorzustellen. Hatte er sich im Bett genauso verhalten wie bei ihr? Hatte er Elizabeth' Po auch so gestreichelt? Ihren Nabel geküßt, wenn er den Höhepunkt hinter sich hatte? Elizabeth, überlegte R.J., muß ganz ähnliche Gedanken haben, wenn sie mich anschaut. Doch war dabei von Eifersucht keine Spur; die beiden waren nur auf eine besondere Weise vertraut miteinander. So todkrank sie war, blieb Elizabeth doch einfühlsam und scharfsinnig.
»Du und Tom, werdet ihr beide euch trennen?« fragte sie eines Abends, als R.J. sie auf dem Nachhauseweg besuchte.
»Ja. Ich glaube, schon sehr bald.«
Elizabeth nickte. »Das tut mir leid«, sagte sie, tröstend trotz ihrer Schwäche; aber ganz offensichtlich war für sie diese Eröffnung nicht überraschend gekommen. R.J. wünschte sich, daß sie sich schon viel früher begegnet wären.
Sie wären wunderbare Freundinnen geworden.
Augenblick der Entscheidung
Diese Donnerstage. In jüngeren Jahren war R.J. politisch ausgesprochen aktiv gewesen, jetzt schien es ihr, als habe sie nur noch die Donnerstage.
Babys waren für sie etwas sehr Wichtiges, und der Gedanke, eine Geburt zu verhindern, bereitete ihr deshalb Unbehagen. Eine Abtreibung war häßlich und schmutzig. Manchmal kam diese Tätigkeit ihren anderen beruflichen Interessen in die Quere, weil einige ihrer Kollegen sie mißbilligten; und aus Angst um seinen Ruf hatte ihr Mann ihr Engagement in dieser Richtung immer gefürchtet und gehaßt.
Aber in Amerika
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