Medicus 03 - Die Erben des Medicus
davon, hatte er in all den Jahren nicht einmal eine Postkarte von ihr bekommen und auch nicht sehr viel an sie gedacht, bis sie ihn eines Tages anrief und ihm sagte, daß sie Krebs habe. »Ich war bei Ärzten in Spanien und Deutschland, und ich weiß, daß die Krankheit in einem fortgeschrittenen Stadium ist. Ich habe beschlossen, nach Hause zu kommen, um mich hier behandeln zu lassen. Der Arzt in Berlin hat jemanden vom Sloan-Kettering in New York vorgeschlagen, aber ich wußte, daß du Arzt in Boston bist, und deshalb bin ich hierhergekommen.« Tom wußte, was sie damit sagen wollte. Auch Elizabeth' Ehe war kinderlos geblieben. Mit acht Jahren hatte sie ihren Vater bei einem Unfall verloren, und ihre Mutter war vier Jahre später an dem gleichen Krebs gestorben, an dem Betts jetzt litt. Aufgewachsen war sie bei der fürsorglichen einzigen Schwester ihres Vaters, die jetzt in einem Pflegeheim in Cleveland lebte. Außer Tom Kendricks hatte sie niemanden mehr, an den sie sich wenden konnte.
»Das nimmt mich sehr mit«, sagte er zu R.J.
»Das glaube ich dir gern.«
Das Problem überstieg bei weitem die Fähigkeiten eines Allgemeinchirurgen. Tom und R.J. besprachen sich und zogen alles in Betracht, was sie über Betts' Fall wußten; es war das erste Mal seit langem, daß es zwischen ihnen zu einem solchen Gedankenaustausch kam. Dann hatte Tom für Elizabeth einen Termin im Dana-Farber Cancer Institute ausgemacht und nach allen Untersuchungen und Tests mit Howard Fisher, dem behandelnden Arzt, gesprochen.
»Das Karzinom hat sich schon stark ausgebreitet«, hatte Fisher gesagt. »Ich habe schon Zurückbildungen bei Patienten erlebt, die in einem schlimmeren Zustand waren als Ihre Freundin, aber Sie werden sicher verstehen, daß ich keine großen Hoffnungen habe.«
»Natürlich verstehe ich das«, hatte Tom erwidert, und der Onkologe hatte einen Therapieplan ausgearbeitet, der Bestrahlung und Chemotherapie verband.
R.J. hatte Elizabeth vom ersten Augenblick an gemocht; sie war eine vollschlanke Frau mit rundem Gesicht, die sich so vorteilhaft kleidete wie eine Europäerin, die es sich aber in ihren mittleren Jahren gestattete, etwas rundlicher zu sein, als es die augenblickliche Mode erlaubte. Sie war nicht bereit aufzugeben, sie war eine Kämpfernatur. R.J. hatte ihr geholfen, eine kleine Eigentumswohnung an der Massachusetts Avenue zu finden, und sie und Tom besuchten die Kranke so oft wie möglich, als Freunde, nicht als Ärzte.
R.J. nahm Betts mit zu einer Aufführung von Dornröschen durch das Boston Ballet und zum ersten Herbstkonzert der Sinfoniker, wobei sie weit oben in den Rängen saß und Betts ihren Abonnementsplatz in der Mitte der siebten Parkettreihe überließ.
»Habt ihr nur eine Abonnementskarte?«
»Tom geht nicht ins Theater. Wir haben verschiedene Interessen. Er geht gerne zu Eishockeyspielen und ich nicht«, sagte R.J., und Elizabeth nickte nachdenklich und meinte, Seiji Ozawa habe ihr als Dirigent sehr gut gefallen.
»Warte auf die Boston Pops im nächsten Sommer, die wirst du mögen! Die Leute sitzen an kleinen Tischen und trinken Champagner oder Limonade und hören sich leichtere Sachen an. Sehr gemütlich!«
»Ja, da müssen wir unbedingt hin!« sagte Betts.
Die Boston Pops waren ihr nicht mehr vergönnt Der Winter hatte erst begonnen, als ihre Krankheit sich ernstlich verschlimmerte; die Wohnung hatte sie nur sieben Wochen lang gebraucht. Im Middlesex Memorial Hospital gab man ihr ein Einzelzimmer auf der VIP-Etage und die Bestrahlungen wurden intensiviert. Schon sehr bald fielen ihr die Haare aus, und sie verlor Gewicht.
Sie blieb so vernünftig, so ruhig. »Weißt du, daraus könnte man ein interessantes Buch machen«, sagte sie zu R.J. »Aber ich habe nicht die Kraft, es zu schreiben.«
Zwischen den beiden Frauen hatte sich ein herzliches Einvernehmen entwickelt, aber als sie eines Abends zu dritt im Krankenzimmer saßen, war es Tom, an den Betts sich wandte. »Ich will, daß du mir etwas versprichst. Du mußt mir schwören, nicht zuzulassen, daß mein Leiden unnötig verlängert wird.«
»Ich schwöre es«, sagte er, beinahe ein Hochzeitsgelübde.
Elizabeth wollte ihr Testament neu abfassen und eine schriftliche Erklärung abgeben, in der sie verfügte, daß ihr Leben nicht künstlich durch Medikamente oder Apparate verlängert werden solle. Sie bat R.J., ihr einen Anwalt zu besorgen, und R.J. rief Suzanne Lorentz von Wigoder, Grant & Berlow an, der Kanzlei, in der sie selbst
Weitere Kostenlose Bücher