Medicus von Konstantinopel
weißt du schon darüber! Du – oder Seriféa!«
»Mehr, als du glaubst, Marco! Eines sage ich dir deshalb hiermit ganz klar: Diese Ketzersekte, die den Satan verehrt, wird nicht ein einziges Silberstück mehr bekommen, das dem Haus di Lorenzo gehört!«
»Für das du dir inzwischen anmaßt, allein sprechen zu können.«
»Das habe ich mir so nicht ausgesucht«, bedauerte Maria.
Marco ging unruhig auf und ab. Er raufte sich mit der Hand durch das Haar. Dann blieb er stehen und fixierte Maria mit seinem Blick. »Ich kann dir nicht sagen, worum es geht, Maria. Sehr bald jedoch wird der Tag der Veränderung kommen. Glaub mir!«
»Es tut mir leid, Marco, aber ich kann dir nicht länger irgendetwas glauben«, erwiderte sie fast tonlos.
Wutentbrannt drehte sich Marco um und stürmte wieder ins Innere des Hauses. Enttäuscht und voller Sorge blieb Maria noch für ein paar Minuten auf dem Balkon. Sie nahm wahr, dass unterdessen die Dämmerung eingesetzt hatte und ein einmaliges Farbenmeer in den Himmel zauberte. Aus der Ferne hörte sie jedoch noch immer das Donnern der Kanonen.
Am Abend verließ der junge di Lorenzo das Haus, ohne jemandem zu sagen, wohin er zu gehen beabsichtigte. Maria bekam den lautstarken Streit zwischen Marco und Seriféa mit, der seinem Aufbruch vorausging. Die Dienerin verlangte immer wieder, dass Marco ihr die volle Wahrheit sagen solle. Doch je eindringlicher sie das forderte, desto mehr verschloss er sich auch vor ihr.
In den nächsten Tagen waren überall in der Stadt Bewaffnete zu sehen. Die Handwerkergilden mussten Männer unter Waffen stellen, es herrschte eine Stimmung von gespannter Erwartung und blanker Furcht. Scharen von Flüchtlingen aus den wenigen Dörfern des thrakischen Umlandes drängten mit Sack und Pack in die Stadt. Sie waren von ihren Feldern geflohen, als sie die gewaltige Streitmacht des Sultans herannahen sahen. Allerorten erzählten sie davon, was sie gesehen hatten: Die Streitmacht des Sultans rückte in breiter Front auf Konstantinopel vor. Die Belagerung hatte begonnen. Niemand konnte jetzt noch die Stadt auf dem Landweg erreichen oder wieder verlassen. Ein riesiger Zug von Belagerungsmaschinen, Geschützen und ein gewaltiger Wagentross folgten den eigentlichen Truppen.
Thomás war als Veteran stets auf dem neuesten Stand und berichtete im Kontor, wie die Lage sich veränderte. »Die Männer des Sultans werden sich jetzt eingraben, so wie sie das bei anderen Belagerungen zuvor auch schon getan haben«, erklärte er, als er zusammen mit Maria und Davide am Tisch des Empfangsraums im Kontor saß. »Danach wird das große Graben losgehen! So eine Schlacht wird vielleicht eher mit der Hacke als mit dem Schwert entschieden. Die Kolonnen der Grabkräfte habe ich selbst von einem der Wehrtürme an der Theodosianischen Mauer aus gesehen! Der Sultan muss wirklich jeden im Umkreis von Hunderten von Meilen aufgeboten haben, der in der Lage ist, eine Schaufel zu halten!«
»Ihr meint, sie werden anfangen, Tunnel zu graben«, schloss David.
Thomás nickte. »In diesen Tunneln werden sie später fässerweise Schwarzpulver zur Explosion bringen und hoffen, dass dies die Mauern einstürzen lässt, die sie bisher auf andere Weise nicht haben zu Fall bringen können. Auf unserer Seite wird man auf jeden Fall Gegentunnel graben. Die Zeiten, da sich Ritter Mann gegen Mann und in Ehre begegneten, waren wohl schon vorbei, als ich in der Garde anfing. Das, was hier bevorsteht, wird mehr an den Kampf von Ratten erinnern, die sich durch den Dreck hindurchwühlen müssen, um sich gegenseitig die Zähne in den Hals schlagen zu können!«
In den kommenden Tagen blieb es recht ruhig, noch war kein einziger Schuss gefallen. Thomás meinte, dass das nicht weiter verwunderlich wäre, denn der Boden des Umlandes sei so weich, dass er dem Rückstoß auch der mittleren Geschütze nicht standhalten könnte und die Belagerer deshalb erst Fundamente graben müssten, damit die Kanonen beim Abfeuern einen festen Stand hätten.
Die Ruhe vor dem Sturm also, folgerte Maria bitter. Einem Sturm, von dem man nur hoffen konnte, dass er über die Stadt hinwegzöge, wie so viele andere vor ihm.
Immer wieder dachte sie daran, wie es Wolfhart wohl ginge. Dass sie gar nichts mehr von ihm gehört hatte, schmerzte sie. Zugang zum Palast bekam sie gegenwärtig keinen. Man fürchtete Spione und Meuchelmörder und hatte sich im Palast mehr oder minder eingeigelt. Jeder Ausländer war per se verdächtig, und so
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