Medicus von Konstantinopel
hergerichtet. Dass er überhaupt erschienen war, verwunderte so manchen der anderen Trauergäste, denn nachdem er zuletzt sämtliche gesellschaftlichen Anlässe tunlichst gemieden hatte, war damit nicht zu rechnen gewesen. Maria und Marco wurden wie üblich von Davide und Thomás begleitet.
»Es ist ein eigenartiges Gefühl, nach langer Zeit einmal wieder eine lateinische Messe zu besuchen, wie ich sie auch aus meiner schottischen Heimat kenne«, hörte Maria den Söldner sich gegenüber Davide äußern. »Aber um der Karriere in der Garde willen habe ich mich jenem Bekenntnis angeschlossen, das sich selbst als rechtgläubig bezeichnet.«
Jakob Forlanus war ebenfalls anwesend. Allerdings hielt er sich von den Mitgliedern der Familie di Lorenzo zunächst auffällig fern.
Zur Gemeinde der Genueser gehörte er ja ohnehin nicht. Die Unsicherheit darüber, wie er sich während einer Messe nach römischem Ritus im Einzelnen zu verhalten hatte, war ihm durchaus anzumerken, sodass er wie ein Fremdkörper wirkte.
»Das Haus Maldini ist jetzt zweifellos geschwächt«, flüsterte Davide an Maria gerichtet. »Es könnte sein, dass Claudio Emanuele nun eine Entscheidung von uns fordert.«
»Er soll damit wenigstens abwarten, bis sein Vater unter der Erde ist«, gab Maria leise zurück.
Nach der Totenmesse wurde Bartolomeo auf dem Friedhof bei der Kapelle in allen Ehren zu Grabe getragen. Fast alle Einwohner von Pera waren gekommen, und ihnen allen war wohl bewusst, dass mit diesem Mann ein wichtiger Fürsprecher ihrer Interessen gegenüber dem Kaiser davonging. Ein Nachfolger in dieser weitreichenden Funktion war nicht in Sicht – zumindest gab es niemanden, von dem man erwarten konnte, dass er die großen Schuhe, die Bartolomeo hinterlassen hatte, auch tatsächlich ausfüllen könnte. Hinter vorgehaltener Hand hörte Maria, wie man ganz ungeniert darüber sprach, dass Claudio Emanuele nicht dazu geeignet wäre.
Man sah den jungen Mann zusammen mit seiner Stiefmutter, der noch recht jungen Witwe des Verstorbenen, am Grab stehen und sich von dem Toten mit einem gemurmelten Gebet verabschieden.
Anschließend begab man sich zum Leichenbankett zum Haus der Maldinis, das eines der größten in ganz Pera war. Es bestand aus vier geräumigen Stockwerken und einem imposanten, zum Bosporus ausgerichteten Giebel. In der untersten Etage befand sich eine große Festhalle, die bis auf den letzten Platz gefüllt wurde. Bartolomeo Maldini hatte bestimmt, dass zu seinem Begräbnis auch eine Armenspeisung durchgeführt werden sollte, und so hatte sich allerlei Volk in der Festhalle angesammelt, das verköstigt werden wollte.
Claudio Emanuele nahm neben der verhüllten Witwe Catarina Platz, die kaum älter war als er. Sie war Bartolomeos dritte und sehr viel jüngere Frau. Seine erste Gemahlin – die Mutter von Claudio Emanuele – war im Kindbett gestorben, die zweite an der Pest. Aufgrund des Altersunterschiedes der Eheleute und des vertrauten Umgangs, den die junge Frau mit Claudio Emanuele zu haben schien, waren eine Zeit lang Gerüchte im Umlauf gewesen, dass die beiden eine durchaus engere Verbindung gehabt hätten, als dies zwischen einer Stiefmutter und ihrem Stiefsohn statthaft war. Seltsamerweise hatte Claudio Emanuele nie etwas unternommen, um diesen Gerüchten entgegenzutreten. Höchstwahrscheinlich waren sie ihm ganz recht gekommen, denn letztlich hatten sie für eine ganze Weile von Claudios Neigung zu jungen Männern abgelenkt, über die man sich erst in jüngerer Zeit das Maul zerriss.
Dass Maria und ihre Begleiter an jenem Tisch platziert wurden, der ansonsten den engsten Familienmitgliedern vorbehalten war, erschien schon sehr auffällig.
»Seht darin ruhig eine Offerte«, raunte Davide ihr zu.
»Vielleicht will ich die aber gar nicht sehen!«
»Ihr seid die Tochter von Luca di Lorenzo – und der hat der Wahrheit immer ins Auge zu blicken vermocht. Das solltet Ihr auch tun, Maria.«
Maria fiel auf, dass Marco wenig sagte und auch keine seiner sonst so provozierenden ketzerischen Reden schwang. Sie hatte ursprünglich mit dem Schlimmsten gerechnet. Wenn er schon die Familie di Lorenzo völlig unmöglich und zum Gespött der Genueser in Pera machen wollte, dann wäre jetzt zweifellos eine günstige Gelegenheit dazu. Denn von dem Begräbnis des Bartolomeo Maldini würde noch in Jahrzehnten jeder erzählen, der dabei gewesen war. Und jemand, der sich zu diesem Anlass danebenbenahm, hatte ganz sicher seinen ewigen
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