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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel
Autoren: C Walden
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Übersetzer, versuchte dem manchmal etwas bärbeißigen Kanonengießer zu folgen, blieb dann aber kurz stehen. Eine Staffel von bis zu den Zähnen bewaffneten Reitern preschte die alte Straße zwischen Adrianopel und Konstantinopel entlang. Sipahis!, dachte Tarik. Man erkannte sie schon von Weitem an den roten Mänteln. Als Junge hatte sich Tarik immer insgeheim gewünscht, als Sipahi-Reiter für den Sultan in den Krieg zu ziehen und dafür mit Ländereien und Beute belohnt zu werden. Dieser Traum war jedoch unerfüllbar geblieben, denn ein Sipahi stammte zumeist aus einer Sipahi-Familie – und er nicht. Zudem hatte Tarik schon früh zum Fettansatz geneigt, allein deshalb wäre er nicht zum Sipahi geeignet. Während er in Gedanken versunken dastand und dem imposanten Zug nachsah, gab es einen ohrenbetäubenden Knall. In einem Feuerball wurden plötzlich Erde, Eisenstücke und Holz emporgeschleudert.
    Durch die Druckwelle verlor Tarik das Gleichgewicht, er wurde förmlich von seinen Beinen gerissen und landete unsanft auf dem Boden. Schreie gellten. Innerhalb weniger Augenblicke war alles vorbei.
    Tarik erhob sich. Wie durch ein Wunder war er unverletzt geblieben; die rotbemantelten Reiter hatten ihm wohl in schicksalhafter Weise das Leben gerettet. Im Umkreis von hundert Schritt lagen Dutzende von Verletzten am Boden, die von herumfliegenden Eisen- oder Holzstücken getroffen worden waren. »Allah!«, murmelte Tarik, als das Wehklagen einsetzte und er sich mit starrem Blick umsah. Im engen Umkreis der Explosion befand sich nichts als menschliche Gliedmaßen und zerfetzte Körper. Nichts war mehr dort, wo es vorher einmal gewesen war.
    Von Urban Kanonengießer, diesem Christen, der für den Sultan die größten Geschütze der Welt geschaffen hatte, blieb nicht einmal eine Spur übrig, und was von den zerrissenen Gebeinen vielleicht zu seinem Leib gehört hatte, konnte niemand mehr feststellen.
    Wolfhart wurde von einem fernen Knall geweckt, der wie Geschützdonner klang, und war sofort hellwach. Gleißendes Sonnenlicht fiel breit durch das hohe Fenster seiner Kammer. Schon seit langem folgte er kaum noch dem gewöhnlichen Rhythmus von Tag und Nacht, denn dieser natürliche Wechsel hatte in der Unterwelt von Konstantinopel so gut wie keine Bedeutung. Es war ein tiefer Erschöpfungsschlaf, aus dem Wolfhart erwachte, und das Sonnenlicht erschien ihm grell und ungewohnt.
    An der Tür klopfte es.
    »Aufmachen!«, befahl eine Stimme.
    Als Wolfhart wenig später den Riegel zur Seite schob und die Tür öffnete, standen ihm vier schwer bewaffnete Gardisten gegenüber.
    »Folgt uns!«, sagte einer von ihnen.
    Wolfhart wurde von den Gardisten durch die zahllosen Gänge des Palastes geführt und schließlich in einen ziemlich abgelegenen Raum mit ausgesprochen karger Einrichtung gebracht. Ein Raum, in dem man wohl Gefangene verhörte. Er glich einer größeren Mönchszelle. Die Fenster waren so hoch im Mauerwerk eingelassen, dass man nicht hinaussehen konnte, und außerdem mit einem gusseisernen Gitter versehen, dessen kunstvoll geschwungene Form nicht über seinen eigentlichen Zweck hinwegtäuschen konnte.
    »Was geschieht jetzt?«, fragte Wolfhart. »Warum bringt Ihr mich hierher?«
    Er bekam keine Antwort.
    Die Tür fiel ins Schloss und wurde von außen verriegelt. Was hatte er getan, um in Ungnade zu fallen? Wolfhart zermarterte sich den Kopf darüber, konnte indes keine Begründung dafür finden. Was oder wer hatte dafür gesorgt, dass sich der Wind anscheinend plötzlich gedreht hatte? Gab es einen neuen Kaiser und er hatte in den Katakomben der Unterwelt bei den Ratten davon nicht einmal etwas mitbekommen?
    Es verging eine ganze Weile. Wie lange, vermochte Wolfhart nicht zu sagen. Im Abschätzen von Zeit war er unsicher geworden, in der Tiefe der dunklen Gewölbe gab es ja nichts, was sie einem anzeigen konnte. Man hörte nicht den Schlag von Kirchenglocken und bekam nichts vom Stand der Sonne mit.
    Dann wurde die Tür wieder aufgeschlossen.
    Ein Mann trat ein. Er trug das Gewand eines Logotheten. Als Wolfhart ihm in die Augen sah, stutzte er einen Moment: Ein Auge war blau und das andere grün. Eine seltsame Laune Gottes.
    »Wer seid Ihr?«, fragte Wolfhart.
    »Nektarios Andronikos. Ich bin der Erste Logothet. Das Ohr und die Zunge des Kaisers.«
    Wolfhart schluckte. »Warum bin ich hier?«
    »Um mir Fragen zu beantworten. Fragen, die den Fortschritt betreffen, den die Erforschung des Pest-Dämons macht.«
    »Aber
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