Medicus von Konstantinopel
Platz in diesen Erzählungen.
Aber Marco riss sich erstaunlicherweise am Riemen.
Als das Bankett bereits in vollem Gange war, verließ er von Zeit zu Zeit den Tisch. Am Rand der Festhalle sah sie ihn dann ein ziemlich gestenreiches Gespräch mit Jakob Forlanus führen.
Dass die beiden sich unterhielten, verwunderte Maria nicht weiter. Forlanus war ja der Advokat der Familie und kannte Marco wie Maria. Verwunderlich war für Maria jedoch die Heftigkeit des Gesprächs. Was gab es zwischen den beiden so Wichtiges zu bereden? Beinahe hätte man denken können, es sei eine Frage über Leben und Tod gewesen.
Marco drehte sich dabei um und ließ den Blick durch die Festhalle schweifen und schaute dann geradewegs in Marias Richtung. Es war für Maria zu spät, um diesem Blick auszuweichen, und so hielt sie ihm einfach stand. Aus irgendeinem Grund ist es ihm unangenehm, dass ich ihn mit Forlanus gesehen habe, ging es Maria durch den Kopf. Was freilich der Grund dafür sein mochte, konnte sie sich nicht vorstellen.
Davide war in ein angeregtes Gespräch mit dem um zwanzig Jahre jüngeren Bruder des Verstorbenen vertieft, der sich auf Zypern angesiedelt hatte und die Reise nach Konstantinopel auf sich genommen hatte, als sich Bartolomeos Ende ankündigte. Der Bruder war gerade noch rechtzeitig eingetroffen, um sich von Bartolomeo verabschieden zu können.
Da Marco nicht auf seinem Platz saß, war dort zunächst eine Lücke. Claudio Emanuele nutzte diese Gelegenheit und setzte sich neben Maria.
»Ihr habt mich nicht einmal um Erlaubnis gefragt«, beschwerte sich Maria.
»Ich weiß, dass Ihr mich nicht zurückweisen würdet. Nicht an diesem Tag und bei diesem allzu traurigen Anlass. Andernfalls würdet Ihr als die personifizierte Herzlosigkeit in den Klatsch unserer Gemeinde eingehen!«
»Nun, möglicherweise liegt Ihr da nicht ganz falsch«, gab Maria zu. »Was den Tod Eures Vaters angeht, so habt Ihr mein aufrichtiges Mitgefühl. Er war unserer Familie immer auf das Engste verbunden. Mein Vater hatte sehr oft und sehr anerkennend über ihn gesprochen.«
»Wir sollten diese Gelegenheit nicht mit schönen Worten vertun und das Entscheidende ungesagt lassen«, erwiderte Claudio Emanuele. »Ich denke, wir brauchen jetzt einander. Das gilt für uns beide so sehr wie für unsere Familien.«
»Heute ist der Tag der Trauer – nicht der Tag, um neue Verbindungen zu knüpfen.«
»Neue Verbindungen? Es ist eine alte Verbindung, wie Ihr selbst gerade ausgeführt habt.«
»Claudio …«
»Wir sind uns immer wieder über den Weg gelaufen, seit wir Kinder gewesen sind, Maria. Reden wir offen miteinander: Die Vernunft gebietet eine Verbindung zwischen uns – und Ihr seid zweifellos eine kluge Frau, die sich nicht von irgendwelchen Stimmungen beeinflussen lässt, sondern das Für und Wider einer Entscheidung genauso kühl abwägt, wie man es von Eurem Vater gewohnt war.« Claudio Emanuele lächelte. »Ich bin überzeugt davon, dass Ihr die richtige Entscheidung treffen werdet.«
»Weil man Euch nicht zutraut, Nachfolger Eures Vaters zu werden?«
»Wie ich sehe, seid Ihr über die Schwierigkeiten informiert. Ich nehme an, Euer Schreiber Davide, den man andernorts auch ›die wandelnde Gerüchteküche‹ nennt, hat Euch die Dinge bereits erklärt. Ich erwarte eine Entscheidung und hoffe, dass es diejenige sein wird, die beiden Häusern dient. Falls Ihr Euch dazu nicht herablassen könntet, müsste ich mich anderweitig orientieren.«
»Ich werde ganz sicher keine Entscheidung treffen, die …«
Marias Worte wurden durch einen fernen, dumpfen Donnerhall unterbrochen. Jegliche Gespräche im Festsaal erstarben innerhalb von Augenblicken.
»Was war das?«, rief jemand.
»Kanonendonner!«, murmelte Davide. »Daran besteht für mich keinerlei Zweifel.«
Ein schon etwas älterer Mann mit grauem Spitzbart und anscheinend reicher seemännischer Erfahrung in den Diensten der genuesischen Flotte bestätigte dies. »Das kommt vom Meer! Da tobt offenbar eine Seeschlacht.« In welchem genauen verwandtschaftlichen Verhältnis dieser Mann zu den Maldinis stand, hatte Maria nicht herausbekommen können, und seinen Namen hatte er nicht genannt. Da jedoch auch er am Tisch der Witwe saß, musste er eng mit dem Toten verbunden sein.
»Man wird die Ketten hochziehen«, meinte Davide. »Ich glaube nicht, dass wir wirklich in Gefahr sind.«
Das Mahl wurde fortgesetzt, aber die Stimmung hatte sich nun verändert. Die Gespräche wurden verhaltener,
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