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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen und durch das Rückfenster des Wagens einen Blick in Richtung des zweiten Gespanns zu richten. Wolfhart, dachte sie und sprach in Gedanken diesen Namen immer wieder aus. Wolfhart Brookinger aus Lübeck … Musste es nicht mehr als ein Zufall sein, dass sie sich begegnet waren? Ein Kaufmannssohn, der offenbar in einem ähnlichen Haus aufgewachsen war wie sie selbst und der sich darüber hinaus mit fast mönchischem Eifer der Bekämpfung jener Krankheit widmete, die Marias Eltern hinweggerafft hatte. Jemand, der unter dem Pestdämon ähnlich gelitten hatte wie sie und darum ermessen konnte, welcher Schmerz ihre Seele nahezu zerrissen hatte. Sie dachte auch daran, wie sie sich leidenschaftlich geküsst hatten, und fragte sich, ob sie in jenem Augenblick eigentlich sie selbst gewesen war. In den letzten Tagen hatte sie Wolfharts Gesellschaft gemieden. Vielleicht, weil sie insgeheim fürchtete, dass der Funke, der schon einmal so unvermittelt übergesprungen war, es noch einmal tun könnte und sie dann vielleicht überhaupt nicht mehr Herr ihrer Sinne sein würde.
    Inzwischen aber schien ihr die Frage, ob sie in jenem Moment sie selbst gewesen war, beantwortet. Vielleicht war sie nie so sehr sie selbst gewesen wie in dem Moment, als sie sich gegeneinandergepresst hatten. Und eigentlich verging zurzeit kaum ein Augenblick, in dem sie sich nicht wünschte, dass es wieder geschehen würde. Ohne Rücksicht darauf, was danach folgte. Warum nicht?, ging es ihr durch den Kopf. Wie viel Glück kann man in dieser düsteren Welt, in der es kaum jemand schafft, länger zu verweilen, schon erwarten? Kaum ist man geboren, sind die Tage schon gezählt, und vielleicht war ja doch etwas Wahres an den Auffassungen jener, die meinten, man solle nicht allzu sehr an die Zukunft denken oder gar an eine Verheißung in einer anderen Welt glauben, sondern sich lieber mit dem bisschen begnügen, was man hier und jetzt bekommen konnte.
    »Meine Schwester ist anscheinend in innerer Versenkung begriffen«, spottete Marco.
    »So lasst sie ihren Gedanken nachgehen und sich darauf konzentrieren, eine gute Figur vor Kaiser und Gesellschaft zu machen«, schritt nun Davide leicht gereizt ein.
    »Oh, gewiss!«, grinste Marco.
    »Wir sind auf dem Weg zu einem Gottesdienst«, erklärte Maria nun fest und mit aller Entschiedenheit. »Da kann es niemandem schaden, sich ins Gebet zu versenken, Bruder!«
    »Nein, gewiss nicht!«, lächelte Marco. »Nur sollte man sich fragen, ob die Wesenheit, zu der man betet, einen erstens auch hört und zweitens noch die Macht hat, die Gebete auch in Erfüllung gehen zu lassen. Aber ich fürchte, an einem gehaltvollen Disput über so grundsätzliche Fragen ist hier zurzeit niemand ernsthaft interessiert …«
    Sie erreichten den Vorhof der Hagia Sophia. Überall patrouillierten die Söldner des Kaisers, was Marco zu der spöttischen Bemerkung verleitete, man habe offenbar mehr Furcht vor den Feinden innerhalb der Theodosianischen Mauer als vor den Türken. Dazu öffnete er sein Wams und rief einem der Männer provozierend zu: »Seht, ich bin unbewaffnet!«
    »Mäßigt Euch!«, knurrte Davide ihm zu. »Euch scheint ein Vater zu fehlen, der Euch die Richtung vorgibt!«
    »Es gibt alles Mögliche, was mir fehlen mag, werter Davide – nur ausgerechnet das nicht! Da bin ich mir sicher!«
    Während Marco und Davide bereits ausgestiegen waren, ließ sich Maria noch von Thomás beim Verlassen des Wagens helfen.
    Der zweite Wagen hielt ebenfalls an. Wolfhart und Urban stiegen als Erste aus, dann folgten Pater Matteo da Creto und Jakob Forlanus, der das intensive Gespräch, das er mit Wolfhart schon in der Kutsche geführt hatte, sofort wieder aufnahm.
    »Wie mir scheint, hattet Ihr in Erfurt – einer Stadt, von der ich bisher ehrlich gesagt noch nie gehört hatte, geschweige denn, dass mir bewusst gewesen wäre, dass es dort eine Universität gibt – doch einige Kenntnisse des römischen Rechts erlangt, guter Wolfhart!«, sagte Forlanus. »Und da Ihr passabel das Lateinische und Griechische beherrscht, frage ich mich, ob Euer Talent nicht als Arzt verschwendet ist!«
    »Verschwendet?«, fragte Wolfhart etwas verwirrt – und es war zumindest Maria klar, dass diese Verwirrung nichts mit der etwas unterschiedlichen Aussprache des Lateinischen oder sonstigen sprachlichen Unterschieden zu tun hatte.
    »Was ist ein Arzt? Ein niederer Handwerker. Dass das Heilen von manchen für eine Kunst,

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