Medicus von Konstantinopel
größtmöglichen Abstand zu Davide suchte. Thomás wiederum saß am anderen Ende und drehte andauernd den Kopf herum. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass nicht er es war, der die Kontrolle über die Lage hatte. Und es behagte ihm wohl auch nicht, hier so unbewaffnet und ohne die Begleitung seiner Leute sitzen zu müssen.
Die Kirche füllte sich nur langsam, was einfach an ihren gewaltigen Ausmaßen lag. Zwischenzeitlich verloren sich Marias Gedanken beim Betrachten der an den Wänden dargestellten Szenen.
Davide machte sie auf einen beinahe weißhaarigen Edelmann mit seinem aus drei Männern bestehenden Gefolge aufmerksam.
»Der Herzog von Elbara und seine Männer«, flüsterte der Levantiner. »Dass er sich aus dem fernen Aragon nach langer Zeit wieder hierherbegeben hat, ist ein Zeichen, Maria …«
»Ein Zeichen? Dafür dass ein Bündnis zwischen Aragon und Konstantinopel unter dem neuen Kaiser doch noch zustande kommt?«, fragte Maria.
»Tatsache ist, dass der Herzog die Stadt vor Jahren verließ und Aragon in den letzten Jahren keinen gleichrangigen Botschafter in Konstantinopel hatte. Don Branagórn Duque de Elbara y Asturias kommt aus einer alten asturischen Adelsfamilie, die stolz auf ihren westgotischen Ursprung ist, und genießt großen Einfluss an König Alfonsos Hof!«
»Dann wollen wir das als Zeichen der Hoffnung werten.«
Silvestre Sarto, der Schneider des Kaisers, nahm unterdessen Platz. Bei ihm war Bartolomeo Maldini, der über achtzigjährige Sprecher der Genuesen und Botschafter Genuas am Hof des Kaisers, mit seinem Sohn Claudio Emanuele, dem Maria zuletzt beim Empfang von Kaiser Johannes begegnet war.
»Eine Heirat zwischen Euch und Claudio Emanuele wäre für das Haus di Lorenzo eine sehr nützliche Stärkung«, raunte Davide. »Keine Angst, ich bin nicht Euer Vater und werde mir auch keine dementsprechenden Rechte anmaßen, Maria. Aber ich bin auch jemand, der sich als Ratgeber dem Wohl des Hauses verpflichtet fühlt und auszusprechen pflegt, wie die Dinge stehen.«
»Im Moment, denke ich, gibt es anderes zu bedenken«, wich Maria aus.
»Diese Frage kann sehr viel schneller von Bedeutung werden, als Ihr es vielleicht für möglich haltet.«
Aus einem der von Säulen getragenen Wandelgänge, die das eigentliche Kirchenschiff umgaben, trat ein hagerer, blassgesichtiger Mann hervor. Fausto Cagliari!, erkannte Maria. Ein Mann in voller Livree, im Harnisch und mit einem Schwert an der Seite trat auf ihn zu. Sein Gesicht konnte Maria zunächst nicht sehen, da er ihr den Rücken zuwandte. Er überragte Fausto Cagliari um einen Kopf und hatte sehr viel breitere Schultern. Schon die Tatsache, dass es diesem Mann offenbar gestattet war, hier und jetzt eine Waffe zu tragen, hob ihn aus der Menge heraus. Als der Bewaffnete sich dann etwas zur Seite wandte, erkannte Maria sein Gesicht. Es handelte sich um Jason Argiris, den Hauptmann der kaiserlichen Garde. Die rechte Hand fasste um den Griff seines Schwertes. Mit der linken gestikulierte er. Natürlich drang kein Wort von dem, was Jason Argiris mit Fausto Cagliari zu besprechen hatte, bis an Marias Ohren. Aber es schien sehr wichtig zu sein, was die beiden Männer miteinander zu besprechen hatten. Das kalte, wie in Stein gemeißelt wirkende Gesicht des Pestarztes veränderte sich, und auch er begann heftig zu gestikulieren.
Was mochte diesen Mann, der wirkte, als wäre er zu keiner einzigen menschlichen Gefühlsregung fähig und als würde er die Welt nur unter dem Gesichtspunkt eines kalten Erkenntnisinteresses heraus betrachten können, so in Rage gebracht haben?
Den Tod von Kaiser Johannes hatte er jedenfalls mit sehr viel mehr Gleichmut hingenommen als jetzt die Worte des Jason Argiris.
Maria wandte sich an Wolfhart. »Seht Ihr den grauhaarigen Mann in dem abgetragenen Wams?«, fragte sie. »Er spricht gerade mit dem Kommandanten der kaiserlichen Garde.«
»Ich sehe ihn.«
»Wir sollten keine Zeit verlieren.«
»Was habt Ihr vor, Maria?«
»Sprecht ihn jetzt an. Kommt mit mir!«
Maria erhob sich von ihrer Bank, und Wolfhart folgte etwas zögernd ihrem Beispiel. Auf eine etwas verwirrte Frage von Davide antwortete Maria nur, sie hätte einen Bekannten gesehen, dem sie Wolfhart vorzustellen gedenke. »Allerdings ganz gewiss kein Heiratskandidat für mich!«
»Du ähnelst immer mehr unserem Vater!«, lautete daraufhin Marcos zynischer Kommentar. »Selbst in der heiligen Kirche am Spinnennetz der Geschäftsverbindungen weben, anstatt
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