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Medicus von Konstantinopel

Medicus von Konstantinopel

Titel: Medicus von Konstantinopel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Walden
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Gedränge zu bringen versucht!«
    »Ja, die Barmherzigkeit wird immer wieder in schändlicher Weise ausgenutzt«, nahm Davide den Gesprächsfaden auf. Er war offenbar froh darüber, dass es angesichts der angespannten Stimmung überhaupt jemand gewagt hatte, etwas zu sagen.
    Was den Diebstahl von Münzen aus den Gold- und Silberreserven des Kontors betraf, so hatte Maria ihren Bruder nicht ausdrücklich darauf angesprochen.
    Es hatte einfach keinen Sinn. Im Moment schien es unmöglich zu sein, sein Herz zu erreichen, ganz egal, was man ihm auch immer vortrug, ob man ihm mit Verständnis oder mit Vorwürfen begegnete. So hatte Maria entschieden, die Sache zuerst einmal ruhen zu lassen und sich damit zu begnügen, zusätzliche Sicherungen an den Schatzräumen des Kontors anzubringen, sodass es Marco ein zweites Mal auf jeden Fall sehr viel schwerer gemacht würde. Schließlich war es wichtig, dass sie sich in der Hagia Sophia als innige Familie zeigten.
    »Ich habe bemerkt, dass du dich immer wieder zum zweiten Wagen umdrehst, Schwester«, sagte Marco.
    »Das scheinst du dir eingebildet zu haben!«, erwiderte Maria gereizt.
    »Oh, wirklich? Ich glaube schon, dass ich das richtig gesehen habe, so wie ich auch die Blicke bemerkte, die du diesem dahergelaufenen Fremden zugeworfen hast! Darf ich fragen, wie lange er die Gastfreundschaft unseres Hauses noch in Anspruch nehmen wird?«
    »So lange, wie es mir beliebt«, erwiderte Maria spitz.
    »Warum so gereizt bei diesem Thema, meine Schwester?«
    Innerlich kochte es in Maria. Was nahm Marco sich eigentlich heraus, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen! Was ging es Marco an, welche Blicke sie wem aus welchem Grund zugeworfen haben mochte? Fragte sie vielleicht danach, wem er Blicke zuwarf oder noch viel näher kam? Ob Davide wohl wusste, dass Seriféa ihre Nächte in Marcos Bett verbrachte? Vermutlich nicht. Maria konnte sich nicht vorstellen, dass der Levantiner in diesem Fall nichts gesagt hätte. Zumal er Seriféa die Stellung im Haus di Lorenzo verschafft hatte und somit auch in gewisser Weise dafür verantwortlich war, dass sie nun wohl nicht mehr als Jungfrau zu verheiraten war. Aber vielleicht hatte Davide bisher dazu auch nur deshalb geschwiegen, weil er insgeheim auf eine engere Verbindung zwischen seiner Familie und dem Haus di Lorenzo hoffte.
    Allerdings bezweifelte Maria, dass es Marco wirklich ernst war. Er schien immer mehr der Gedankenwelt des Cherubim-Ordens verfallen zu sein. Welche Sünde ließ sich noch begehen, wenn Luzifer die Welt ohnehin beherrschte und man seine Mittel anwenden musste, um das Böse zu besiegen? Welchen Unterschied gab es dann noch zwischen gut und verwerflich? Und welchen Sinn machte es noch, auf eine Verheißung im Jenseits zu warten, wenn Gott offenkundig nicht in der Lage war, durch sichtbare Zeichen im irdischen Leben zu zeigen, dass er dazu überhaupt die Macht hatte. Dann doch lieber alles mitnehmen, was sich einem darbot, denn wer konnte schon wissen, ob man nicht schon wenig später als von Beulen entstellte Leiche in ein Pestgrab geworfen und verscharrt wurde? Lieber noch einmal für kurze Zeit richtig leben und alles auskosten, gleichgültig, was danach folgte. So schien Marco zu denken, und damit war er nicht allein. Selbst der Satan und das Jüngste Gericht verloren ihre Schrecken angesichts des allgegenwärtigen Schreckens, der jeden Tag bestimmte. Maria hatte sich selbst schon bei solchen Gedanken ertappt. Insbesondere in der Zeit, als ihre Eltern so grausam dahinsiechten und nicht klar war, ob der üble Pestdämon nicht auch längst in ihren Körper gefahren war und ihn schon auf eine Weise durchdrungen hatte, die jeden Gedanken an die Zukunft absurd und selbst den Gedanken an ein jenseitiges Paradies unvorstellbar erscheinen ließ.
    »Du sagst ja gar nichts, Schwester«, hörte sie Marcos Stimme.
    Sie blickte aus dem Fenster des Wagens, sah seitlich die Überreste des einstmals so stolz dastehenden Hippodroms an sich vorbeiziehen, wo sich die Kaiser einer Menge von hunderttausend Menschen gezeigt und sie mit Spielen unterhalten hatten, während dort jetzt nur noch ein paar Säulen und Mauerreste emporragten, die den Baumeistern als Steinbruch dienten. Wie ein Sinnbild des Verfalls wirkte dieser Ort.
    Nein, dachte sie, ich werde in diesem Moment keinen Streit mit meinem Bruder anfangen. Irgendwann wird er unumgänglich sein, aber er darf nicht jetzt zum Ausbruch kommen. Um keinen Preis der Welt …
    Sie widerstand

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