Medicus von Konstantinopel
vergleichbar mit der Dichtkunst, gehalten wird, liegt doch nur daran, dass beide Künste völlig wirkungslos sind, wenn man es genau nimmt. Beide sind nichts weiter als etwas Wohlklang für die Seele, aber sie ändern die tatsächlichen Verhältnisse nicht. Jeder Knochensäger oder Zahn ziehende Bader hat mehr Heilkraft als ein Arzt! Und insbesondere ein Pestarzt steht doch wie ein völlig unbewaffneter Landsknecht vor einem übermächtigen Feind!«
»Nun, mich wundert, wie wenig Mut man hier in Konstantinopel anscheinend gegenüber übermächtigen Feinden hat, wo man doch fortwährend von ihnen umgeben ist«, erwiderte Wolfhart.
»Ich meine ja nur, dass Ihr Euch überlegen solltet, ob Ihr nicht besser Eure Kenntnisse der Rechtskunde vertieft! Ich könnte immer einen guten Gehilfen brauchen – und an Streit unter Gilden und Einzelpersonen, der vor Gericht ausgetragen werden muss, mangelt es in dieser Stadt nun wirklich nicht, und diese Zunft muss wohl nie befürchten, brotlos zu sein! Zudem gibt es hier ein riesenhaftes Heer von Logotheten und kaiserlichen Beamten, die den ganzen Tag damit beschäftigt zu sein scheinen, Erlasse und Anordnungen zu erfinden und aufzuschreiben, sodass nur noch derjenige eine Möglichkeit hat, sich vor Gericht durchzusetzen, der sie alle kennt!« Jakob Forlanus zuckte mit den Schultern. »Das macht es selbst klugen Leuten fast unmöglich, ihre Interessen selbst zu vertreten! Aber unser einem sichert es Lohn und Brot bis in alle Ewigkeit!«
Er schaute an seiner edlen Kleidung herab und deutete auf die aus Italien kommenden Schuhe, die nach der neuesten Mode spitz zulaufend und leicht nach oben gebogen waren. Den frommen, langbärtigen und in dunkle Kutten gekleideten Männern der Ostkirche galt ein solcher Anblick sicher als Inbegriff unnützen Tands. Eine Zurschaustellung der eigenen Eitelkeit. Aber wen kümmerte das in einer Zeit, da die angeblich Rechtgläubigen sich in einer ungleichen Union faktisch der Kirche Roms unterworfen hatten.
»Ihr seht, dass sich einiger Wohlstand damit erreichen lässt!«, meinte Jakob Forlanus. Und während sein Blick zu Maria hinüberglitt, fügte er noch hinzu: »Und auch die Damen sind von solchen Äußerlichkeiten gerne beeindruckt!«
Maria schluckte, als Jakob Forlanus’ Blick sie traf.
Noch zu Lebzeiten ihrer Eltern hatte der junge Rechtsgelehrte versucht, Luca di Lorenzo davon zu überzeugen, ihm die Hand seiner Tochter zu geben. Zwar stammte Jakob Forlanus aus keiner der traditionsreichen Familien Konstantinopels, aber er war ein hervorragender Rechtsgelehrter und hatte durch seine Tätigkeit in unzähligen Prozessen ausgezeichnete Verbindungen in die höchsten Kreise des Imperiums hinein. Verbindungen, auf die auch Marias Vater immer wieder zurückgegriffen hatte.
Seine Tochter hatte er ihm allerdings nicht gegeben, nachdem er Maria gefragt und sie sich ablehnend geäußert hatte. Nicht, dass ihr Forlanus unsympathisch gewesen wäre. Ganz im Gegenteil. Er war ein charmanter Gesellschafter, und man konnte sich geistreich mit ihm unterhalten. Außerdem bewunderte Maria immer wieder das diplomatische Geschick, mit dem er in schwierigen Angelegenheiten vorzugehen wusste. Aber als Ehemann konnte sie sich ihn beim besten Willen nicht vorstellen.
Maria hatte den Eindruck, dass Forlanus seit dem Tod ihres Vaters dachte, es könne sich nun lohnen, einen zweiten, diesmal etwas weniger direkten Versuch zu unternehmen. Vielleicht lockte ihn aber auch in erster Linie die Aussicht, durch eine Heirat maßgeblichen Einfluss auf die Geschäfte des Handelshauses zu bekommen, mit dem er ja ohnehin schon seit langem auf das Engste verbunden war.
Wolfhart ergriff nun das Wort und erlöste Maria von der Notwendigkeit, etwas Passendes erwidern zu müssen.
»Ich sehe das Bemühen um eine Heilung der Pest keineswegs als sinnlos an«, erklärte er. »Und ich tue das auch nicht in der Hoffnung, daraus Profit zu schlagen, sondern weil ich glaube, dass es eine wichtige Aufgabe ist. Wenn Gott uns diese Geißel geschickt hat, um uns zu prüfen, dann sollten wir uns dieser Prüfung stellen.«
Jakob Forlanus runzelte die Stirn. »Nichts gegen Eure hohe Gesinnung, Wolfhart! Aber vielleicht belehrt Euch die Zeit ja eines Besseren.«
Wolfhart lächelte. »Das glaube ich nicht. Denn das, was Ihr mir sagt, erscheint mir wie die abgewandelte Rede meines Vaters!«
»Euer Vater scheint ein kluger Mann zu sein!«
»Aber es sind uns nun einmal vom Herrn unterschiedliche
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