Medienmuendig
»Theater zu spielen«: Begeben Sie sich ganz in die Rolle einer Werbefachfrau oder eines Marketingstrategen hinein! Längst ist unsere Ökonomie von der Bedarfsdeckung zur Bedarfsweckung übergegangen. Dies mag gerechtfertigt sein (nicht nur im Sinne der Gewinnsteigerung), aber es birgt die Gefahr, dass Marketingstrategen Sucht als die wirkungsvollste Strategie zur Weckung und Aufrechterhaltung von Bedarf entdecken und nutzen. Ich beschreibe verschiedene mögliche Strategien der Bedarfsweckung und gebe Beispiele, inwieweit diese in der Medienwirtschaft bereits umgesetzt werden. Passen Sie jedoch auf,den Rollenwechsel zurück nicht zu verpassen! Sonst glauben Sie bald selbst, Neugeborene brauchten dringend Computer und DVDs und Sie als Erziehende gehörten in die Generation der unwissenden digitalen Immigranten und manchen anderen Unsinn mehr.
Im
dritten Teil
finden Sie praktische Tipps für die Erziehung zur Medienmündigkeit. Wie können Sie als Eltern mitten in der digitalen Gesellschaft Spielräume für kreative Entfaltung schaffen? Wie wird aus Langeweile Muße? Wie widerstehen Sie dem Druck (»Mama, kaufst du mir das? Alle anderen haben das auch!«). Welche Alternativen zum Bildschirm-Babysitter bieten sich an? Wie schafft man sich in der eigenen Familie und im weiteren sozialen Umfeld Verbündete und Freunde statt Feinde? Was müssen Sie tun, worauf achten, damit andere Ihr herausforderndes Projekt »Medienerziehung« unterstützen und nicht ablehnen oder gar sabotieren? Am Schluss des Buches habe ich Ihnen praktische Medienreife-Tests zum Ankreuzen vorbereitet, gesondert nach Hörmedien, Fernsehen/DVD und PC. Diese Tests sollten Sie sich auf keinen Fall entgehen lassen, auch auf die Gefahr hin, dass Sie selbst als Erwachsener in den für Kinder konzipierten Tests nicht die volle Punktzahl für Medienreife erreichen.
Der abschließende Ausblick fasst die zentralen Gedanken des Buchs noch einmal zusammen und formuliert Vorschläge und Forderungen, die den Weg zur Medienmündigkeit ebnen könnten.
TEIL 1
Medienmündigkeit – Reifung braucht Zeit und Förderung braucht Methode
KAPITEL 1
Mündig oder nur kompetent?
»Lord d’Arbanville ritt auf seinem feurigen Rappen durch den von Morgennebeln verschleierten Wald. ›Mein Wald!‹, dachte er dabei, und ›Mein Mündel! Was fange ich bloß mit dieser halsstarrigen jungen Lady Georgina an, die sich in den Kopf gesetzt hat, entgegen ihres Vormunds ausdrücklichen Anweisungen bei ihrer alten Tante Martha zu bleiben?‹«
So etwa könnte ein Absatz in einem historischen Gesellschaftsroman lauten. Das ist heute der literarische Ort, an dem wir Worte wie
Mündel, mündig, Vormund, Mündigkeit
erwarten würden. Am Ende wären Lord d’Arbanville und Lady Georgina aller Voraussicht nach ein glückliches Paar. Aber »Mündigkeit« im Titel eines Buches über Medienerziehung im 21. Jahrhundert?
Plastikwort Medienkompetenz oder: Wer bedient hier wen?
Warum bleibe ich nicht bei dem Begriff »Medienkompetenz«, der ja sowohl in der öffentlichen Debatte als auch im wissenschaftlichen Diskurs um Medienerziehung häufig verwendet wird? Dann könnte man die Mündigkeit dort lassen, wo man sie auf den ersten Blick auch erwartet, nämlich im historischen Roman.
Nein! Das kommt deshalb nicht in Frage, weil der »Kompetenz«, zumindest in der öffentlichen Debatte, im Vergleich zur »Mündigkeit« gleich zwei entscheidende Dinge fehlen: Erstens fehlt die Dimension der Reifung, also des Zeitlassens und Raumgebensim Verlauf der Ausbildung einer Persönlichkeit. Zweitens fehlt die Dimension der Selbstbestimmtheit, der Zeitsouveränitiät, der Verhinderung von Abhängigkeit.
»Der Begriff Medienkompetenz [wird] in der veröffentlichten Diskussion, vor allem aber dort, wo sich Ökonomie und Politik seiner bedienen, häufig auf die Fertigkeit reduziert […] den technischen Vorgaben der Medien als digitalen Maschinen adäquat zu folgen.« 20
Das bemängelt ein Medienpädagogik-Professor. Und was versteht ein Nicht-Experte, wenn er dieses Wort hört?
»Medienkompetenz? Also ich mein, ich stell mir darunter vor: Wissen, wie man mit Fernseher und Computer halt umgeht, also wie man die Geräte richtig bedient.« 21
Fällt Ihnen daran etwas auf? Da ist von Bedienen die Rede. Wer bedient hier wen?
Gerade weil Medienkompetenz mit über einer halben Million Google-Treffern zum Modewort avanciert und gerade weil sich alle so verdächtig einig zu sein scheinen,
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