Medienmuendig
die Frage: »Welches Lerncomputerspiel ist für ein zweijähriges Kind am besten geeignet?« Sollte ich mich in meiner Leserschaft irren, will ich fairerweise an dieser Stelle eine knappe Antwort geben: Keines.
Landkarte − Was Sie in diesem Buch erwartet
Im
ersten Teil
behandle ich die Grundlagen von Medienmündigkeit. Ob ein Säugling, der heute geboren wird, später zum Medien-Junkie oder zum selbstbestimmten Nutzer wird, hängt sehr stark von seiner Mediensozialisation in der Familie und inden Bildungseinrichtungen ab. Echte Medienmündigkeit entsteht nur in einem ausgewogenen Verhältnis von Reifung und Förderung.
Allerdings geht es in den ersten drei Kapiteln vorwiegend um Beispiele und Überlegungen, die auf den ersten Blick gar nichts mit Medien zu tun haben. Obwohl die Beispiele aus so unterschiedlichen Bereichen kommen wie der Verkehrserziehung, der Neurologie, der Resilienzforschung 13 , der Suchtprävention und der Bindungstheorie, tragen sie alle etwas zu einem guten Konzept von Medienerziehung bei. Ich möchte an dieser Stelle theoretisch untermauern, was Sie und viele Eltern längst als »Bauchgefühl« spüren: Kleine Kinder brauchen Zeit und Spielraum und menschliche Begegnung. »Frühförderung« hört sich gut an, artet aber heute allzu oft in schädliche Eile aus. Dabei aber keine Sorge: Dies wird keine wissenschaftliche Abhandlung, weil es in der Medienpädagogik glücklicherweise ähnlich
ist wie allgemeiner in der »Forschung« zu kindlichem Verhalten:
Aus Mathematik, Physik, Chemie und auch aus manchen Bereichen der Biologie sind wir es gewohnt, dass die Ergebnisse mit dem Fortschritt der Wissenschaften immer schwerer verständlich, immer unanschaulicher und immer lebensferner werden. In der Verhaltensbiologie des Kindes ist es anders [und ebenso in der Medienpädagogik, P. B.]: Deren Aussagen bestätigen in zunehmendem Maße das ohne die Wissenschaft entstandene Wissen der gut beobachtenden lebens- und liebevollen Mütter und Väter. 14
In
Kapitel 1
geht es um die Frage, was die zentralen Unterschiede sind zwischen der Mündigkeit und dem viel häufiger verwendeten, aber auch häufig missbrauchten Begriff der Kompetenz. Daran schließt sich ein Beispiel für gelungene Mündigkeit im (Straßen)Verkehr an. Warum Kinder echten Spielraum brauchen, warum die Reifung
,
also das »Zeitlassen« so wichtig und warum persönliche Begegnung mit anderen Menschen unentbehrlich ist, wird an vielen Beispielen in
Kapitel 2
erläutert.Der Weg zu nachhaltiger statt nachhinkender Bildung erfordert viel mehr Gelassenheit und Muße als der in Mode geratene Frühförderungswahn. In
Kapitel 3
geht es um Abhängigkeit oder Sucht, und hier lautet die entscheidende Frage: Wie machen wir unsere Kinder stark gegen Mediensucht? Für gute Mediensuchtprävention kann man von den Erfahrungen in der Vorbeugung gegen andere Süchte reichlich profitieren. 15 Dabei ist − und das kann ich nicht oft genug wiederholen − die unmittelbare Begegnung mit anderen Menschen von entscheidender Bedeutung. Aus meiner aktuellen Forschungstätigkeit im Bereich Computerspielabhängigkeit 16 kann ich zwar noch keine eigenen Ergebnisse präsentieren, aber den Stand der Wissenschaft, insbesondere zum unterschiedlichen Gefährdungspotential verschiedener Spieltypen, skizzieren.
Im zentralen
Kapitel 4
zeige ich, warum wir endlich aus den Fehlern der Vergangenheit lernen sollten. Wo sind eigentlich die Sprachlabors geblieben? Wann und wo wird heute das einst hochgelobte Schulfernsehen eingesetzt? In seiner brillanten historischen Analyse beschreibt Edwin Hübner 17 das wiederholte Scheitern der Vorstellung, man könne den menschlichen Lehrer durch eine perfekte Lernmaschine ersetzen.
Und dann stelle ich Ihnen Schritt für Schritt den »Turm der Medienmündigkeit« vor. Dies ist ein Modell zum allmählichen Erwerb von Medienmündigkeit, das sich gerade durch weitestgehend medienfreie Spielräume in der Kindergartenzeit bis hinein in die Grundschulzeit als solide Basis für den späteren autonomen Umgang mit Medien auszeichnet. Dabei werden in einer Gegenüberstellung die aktuellen Konzepte medienpädagogischer Frühförderung (»Computer in die Kindergärten«) kritisch überprüft.
Besorgniserregend ist vor dem Hintergrund der aktuellen Debatte um die »Bildungsschere«, um Kinder aus benachteiligten sozialen Schichten als Bildungsverlierer, dass der Einsatz elektronischer Medien in der Kindheit nach neuesten Daten diese
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