Medienmuendig
dass Medienkompetenz etwas Gutes, etwas Erstrebenswertes sei, ist Vorsicht geboten. Nicht nur wer hört und liest, was Eltern ihren Kindern im Namen der Förderung von Medienkompetenz alles kaufen sollen, vom Barbie-Lerncomputer über das Lernhandy zur Baby-Einstein-DVD, kommt irgendwann zu dem Ergebnis: Wenn das der Weg sein soll, ist das Ziel nicht mehr meins. Leider wird diese Art von Werbung allzu oft mit Statements von Möchtegern-Experten unterlegt, die über den Verdacht des Lobbyismus keineswegs erhaben sind, weil sie Geld von den Herstellerfirmen erhalten (vgl. etwa Kapitel 8 zum Schlaumäuse-Projekt).
Vorsicht ist also geboten. »Medienkompetenz ist ein verbrannter Begriff, der als pädagogischer Leitgedanke versagt hat«, warnt ganz direkt Eberhard Freitag, der Leiter einer Fachstelle für exzessiven Medienkonsum in Hannover. 22 Und unterdeutschen Medienpädagogen, die das Wort weiterhin verwenden, wird um den Begriff gestritten: Was ist Medienbildung, was Medienkompetenz? 23 So weit wie Eberhard Freitag gehe ich nicht, dennoch beschleicht mich die Ahnung, dass Medienkompetenz alltagssprachlich zum Plastikwort mutiert ist, das sich zum Missbrauch nur zu gut eignet.
Was ist das, ein Plastikwort? Der Freiburger Germanistikprofessor Uwe Pörksen hat sich schon vor Jahren in seinem Buch
Plastikwörter – die Sprache einer internationalen Diktatur
mit einer bestimmten Art von Wörtern beschäftigt, die in aller Munde sind, ohne eigentlich fassbar zu sein. Ich habe nachgezählt: Aus einer Liste mit 30 Merkmalen von Pörksens Plastikwörtern treffen mindestens 24 für den Begriff Medienkompetenz zu. Zu diesen Merkmalen gehören auch folgende:
Plastikwörter bringen ein riesiges Erfahrungs- und Ausdrucksfeld auf einen Nenner. Durch ihre unendliche Allgemeinheit erwecken sie den Eindruck, eine Lücke zu füllen, befriedigen sie ein Bedürfnis, das vorher nicht bestand. Mit anderen Worten: Sie wecken es. Sie kommen aus der Wissenschaft in die Alltagssprache und dominieren durch ihre amöbenhafte Schwammigkeit den öffentlichen Diskurs. Sie verankern das Bedürfnis nach expertenhafter Hilfe in der Alltagssprache. Sie bringen zum Schweigen.
Als Leser können Sie übrigens selbst mit einer aus drei Klopapierrollen und einem Stock hergestellten Phrasendreschmaschine Plastikwörter herstellen. Auf die erste Rolle schreiben Sie schwammige Adjektive, auf die zweite und dritte schwammige Hauptwörter. Und das Ergebnis könnte z. B. so aussehen: nationale Vernetzungs-Struktur, nachhaltiges Kommunikations-System, interaktive Medien-Kompetenz, medialer Innovations-Wettbewerb … und so weiter. Das sind allesamt Wortkombinationen, die ungefähr so wichtig und bedeutungsvoll klingen, wie sie inhaltsleer sind. Gegen diese Wörter kann keiner etwas einwenden, ohne als rückständig zu gelten. Plastikwörter erleichtern die Entmündigung durch Experten 24 und Maschinen und sindgeeignet, elegant das Verschwinden von Kultur als Fortschritt darzustellen.
Ein Beispiel: Ein kleines Mädchen, nennen wir es Laura, bekommt abends vom Papa eine Geschichte erzählt. Dann sprechen die Eltern mit ihm ein Abendgebet und singen ein Lied. Ein anderes kleines Mädchen, Celine, hat eine Geschichtenkassette, eine musikalische Aufziehuhr und einen kleinen elektronischen Plüsch-Teddy-Engel, der auf Knopfdruck mit Kinderstimme abwechselnd ein Morgen- und ein Abendgebet spricht. Mama und Papa sind weg. Na, wenn das kein innovativer Entwicklungs-Fortschritt/mediales Innovations-System/nachhaltiges Kommunikations-System ist! So wird die interaktive Medien-Kompetenz gefördert! Interaktiv? Ja, denn der Plüsch-Teddy hat auch eine Aufnahmefunktion, wo Mamas Liebling das eigene Gebet auf Band aufnehmen kann. 25 Wörter, die überdecken können, dass es Celine schlechter geht als der »altmodisch« zu Bett gebrachten Laura, dass Fortschritte in Wirklichkeit oft Rückschritte sind, haben Konjunktur. Wer das Buch von Pörksen liest, wird in Zukunft bei der Lektüre einer Politikerrede, eines Forschungsantrag und eines Personalgesprächs ständig zusammenzucken: Achtung, Plastikwörter!
Ich halte fest, dass Medienkompetenz in meinen Augen als Begriff zu oft missbraucht worden ist, um noch als Ziel zu taugen. Diese Grundstimmung, die ich von meinen Abendveranstaltungen und Fortbildungen her gut kenne, trägt ein Risiko und eine Chance in sich: Wenn Medienkompetenz nicht mehr als Ziel taugt, besteht das Risiko, dass man sich abwendet, die Augen schließt
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