Medienmuendig
und in eine kulturpessimistisch-bewahrpädagogische Starre verfällt. Stattdessen sollte man aber die Chance ergreifen, eine neue Zielperspektive für das sogenannte digitale Zeitalter ins Auge zu fassen: Medienmündigkeit.
Dieser Begriff ist viel weniger bekannt als Medienkompetenz (mit 1500 Google-Treffern genau um Faktor 300 unbekannter) und wurde von Walter Schludermann an der Universität Klagenfurt schon Ende der 90er Jahre als Titel für ein Forschungsprojektverwendet, allerdings mit einer etwas anderen Bedeutung. Kritische Medienpädagogen sehen die Einführung dieses neuen Begriffs hoffentlich nicht als Provokation und Generalkritik an allen Theorien, die mit der alten Begrifflichkeit arbeiten, sondern als Bereicherung des Diskurses, die neuen Schwung in alte festgetretene Debatten bringen möge.
Mündigkeit, so kann man im 12-bändigen Brockhaus nachlesen, ist »im engeren Sinne die Volljährigkeit, im weiteren Sinne die Fähigkeit des Menschen zur sittlichen und geistigen, zur politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Selbstbestimmung. Mündigkeit beschreibt ein ursprünglich von der Aufklärung geprägtes Leitbild der Entfaltung und Selbsterziehung zur autonomen sittlichen und geistigen Persönlichkeit.«
Vormund, wie auch die gesamte Wortfamilie mündig, Mündel, Mündigkeit, leitet sich interessanterweise nicht vom Maskulinum »der Mund« ab, also dem Körperteil, durch den Nahrung und Sprache hinein- oder herauskommen. Stattdessen gehen sie auf das Femininum »die Mund oder die Munt« zurück, ein mittelhochdeutsches Wort, das seit dem 9. Jahrhundert mit der Bedeutung »Schutz, Schirm, Bewahrung« verwendet wird. Vormund ist also, wer seinen Schutzbefohlenen vor Schaden und Übervorteilung bewahrt. Mündig ist, wer reife Urteilsfähigkeit erlangt hat, so dass er des Schutzes durch den Vormund nicht mehr bedarf, sondern selbst für sich eintreten, sich selbst schützen kann.
Doch zurück zum Brockhaus und seiner Definition von »Mündigkeit«: Die Selbstbestimmtheit, die Autonomie des Menschen in verschiedenen Lebensbereichen steht im Vordergrund. Mündigkeit beschreibt den Zustand nach Abschluss einer Entwicklung. Solange das Kind oder der Jugendliche zu jung ist, um seine langfristigen Ziele und Bedürfnisse zu reflektieren und sich für deren Berücksichtigung einzusetzen, zu jung, um mögliche Nachteile oder Gefährdungen für seine Entwicklung zu erkennen, wird er unter den Schutz eines Erwachsenen gestellt, der sich für ihn einsetzt und ihn vertritt. Die Entwicklungzur Selbstbestimmtheit wird dabei als weitgehend altersabhängig, als Ergebnis eines Reifungsprozesses angesehen.
Welch entscheidende Bedeutung die Muße, also gerade das Sich-Zeitlassen als Voraussetzung für echte Bildung im Gegensatz zur von ihm kritisierten »Halbbildung« hat, beschrieb schon Theodor W. Adorno. 26 Was ist Muße? Zumindest ein weiterer wichtiger Begriff, der im Verlauf dieses Buches eine große Rolle spielen wird: Die Bedeutung und das kreative Potential der Muße müssen wir erst wiederentdecken in einer Gesellschaft, die ungenutzte Zeitabschnitte allzu schnell als »Langeweile« oder »Ineffizienz« abstempelt, in einer Gesellschaft, in der nicht nur Arbeitszeit, sondern auch Freizeit einer effizienten Nutzung zugeführt werden sollen.
Der Brockhaus nennt als Bereiche der Mündigkeit die »sittliche, geistige, politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche« Selbstbestimmtheit. In der heutigen Zeit kommt die »mediale« Selbstbestimmtheit hinzu. Medienmündig kann nur sein, wer seine eigenen langfristigen Ziele und Bedürfnisse kennt, wer die unterschiedlichen Medien mit ihren Chancen und Risiken, mit ihrem Potential zur Befriedigung dieser Bedürfnisse einschätzen und diese Überlegungen und Erwägungen in Entscheidungen und Handlungen im Alltag umsetzen kann. Damit kann dann ausdrücklich auch medienmündig genannt werden, wer sich überall dort für nichtmediale Handlungsalternativen entscheidet, wo das Un-Vermittelte, wo das echte Leben zur Erreichung seiner persönlichen Ziele besser geeignet ist. Wir wollen unsere Kinder nicht zu technisch versierten Maschinensklaven, sondern zu selbstbestimmten Menschen erziehen, die selbst über Ausmaß und Art ihrer Mediennutzung entscheiden können. Wann aber erreicht ein Mensch diese Mündigkeit, wann kann er ohne einen »Vormund« auskommen, der ihn vor Risiken schützt, die er selbst noch nicht abschätzen kann? Mehrere richtige Grundideen dazu
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