Medienmuendig
den Fähigkeiten zur Übernahme von Verantwortung wachsen.
Die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Eltern heute ihre Kinder auf dem Weg in die Medienmündigkeit begleiten, sind aber alles andere als einfach. Für viele tausendMütter und Väter, aber auch Erzieherinnen und Lehrer stellt sich eine gute Medienerziehung als anstrengendes, aber lohnendes »Gegen-den-Strom-Schwimmen« dar. Die äußeren Rahmenbedingungen dafür, dass der bei Eltern fast immer vorhandene Wunsch nach Reduktion der Bildschirmzeiten bei ihren Kindern in die Wirklichkeit umgesetzt wird, müssen unbedingt verbessert werden. Wichtige Schritte in diese Richtung können in sehr unterschiedlichen Bereichen liegen: vom wohnortnahen Park mit Spielplatz über Verkehrsberuhigungsmaßnahmen, weiter über die Senkung der kindlichen Bildschirmzeiten durch gute Elternberatung (oben wurden bereits erste Erfolge solcher Programme beschrieben) bis hin zu strengerer Altersbegrenzung bei Computerspielen mit besonders hohem Suchtpotential und zur Einrichtung von beaufsichtigten PC-Hausaufgabenräumen an Schulen (vgl. Kapitel 5). Viele kleine Schritte zusammengenommen können dazu führen, dass verantwortungsvolle Medienerziehung von einem ständigen Kampf wieder mehr und mehr zum entspannten »Schwimmen mit dem Strom« wird.
Dazu ist nicht nur in den Köpfen der Eltern und anderer Erziehender, sondern auch in den Köpfen der politischen Entscheidungsträger ein Umdenken von der allzu oft missbrauchten »Medienkompetenz« zur »Medienmündigkeit« als Zielperspektive dringend notwendig.
Umdenken ist für Wissenschaftler, vielleicht auch für Politiker aber nicht leichter als für Normalbürger, sondern schwerer. Der Evolutionsmathematiker John B. S. Haldane verfasste 1963 eine köstliche Satire über das Umdenken. Er beschreibt den zähen Verlauf der Durchsetzung einer neuen wissenschaftlichen Erkenntnis als vierstufigen Prozess:
Das ist wertloser Unfug.
Das ist eine interessante, aber perverse Sichtweise.
Das ist wahr, aber ziemlich uninteressant.
Das habe ICH schon immer gesagt.
In diesem Sinne könnte man fast wünschen, dass die hier formulierten Ideen zunächst als wertloser Unfug beschimpft werden mögen.
Erinnern Sie sich, dass zu Anfang dieses Buches von einem Zug die Rede war, der ohne uns abzufahren droht, und von der Gefahr, dadurch in hinterherhechelnde Hektik zu verfallen und einzusteigen – ohne zu wissen, wohin er eigentlich fährt. Im Moment fährt dieser Zug immer weiter in Richtung von mehr und mehr und mehr Medieneinsatz, und das ist ein gefährliches Ziel. Dennoch einzusteigen wird zu nachhinkender und statt nachhaltiger Bildung führen, zu Sucht statt Selbstbestimmtheit und zu Kosten statt Gewinn. Zu der Schlussfolgerung, dass die Reduktion von Bildschirmzeiten ein gesellschaftliches Ziel allerersten Ranges ist, kommt man also über mindestens drei verschiedene Wege. Eingeschränkte Bildschirmzeiten sind nicht nur gute Mediensuchtprävention, sondern auch ein Beitrag zum Schließen der Bildungsschere und zu Kostenersparnissen im Gesundheitswesen. 15 Nun hoffe ich, dass die dazwischenliegenden Seiten dazu beigetragen haben, dass sich angesichts des vermeintlichen »Fortschritts«-Zuges bei immer mehr Menschen – Privatpersonen wie gesellschaftlichen Entscheidungsträgern − fröhliche Gelassenheit einstellt. Dann werden immer mehr Menschen sich sagen: »Diesen Zug können wir getrost sausen lassen und wir werden das Ziel – Medienmündigkeit – sogar schneller und zuverlässiger erreichen.«
15 gute Bücher und 7 Märchen, die zum Denken anregen
* 1. Adorno, Th. W. (1959). »Theorie der Halbbildung«. In: ders.: Gesammelte Schriften Band 8. Soziologische Schriften I, S. 93 – 121.
Wer sich für die Bedeutung der Muße für die Entstehung echter Bildung interessiert, kommt an Adorno nicht vorbei
.
** 2. Armstrong, A. und Casement, C. (2000). The Child and the Machine: How Computers Put Our Children’s Education at Risk. Robins Lane Press, Beltsville.
Sehr gut recherchiertes Buch mit 250 Verweisen auf wissenschaftliche Studien zu den wahren Kosten (höher als gedacht) und dem wahren Nutzen (niedriger als gedacht) des Computereinsatzes in Schulen.
* 3. Bleckmann, P. (2006). Zielgruppenspezifische medienpädagogische Elternarbeit am Kindergarten unter besonderer Berücksichtigung der Themeninteressen von Familien mit aktuell oder potentiell nichtfernsehenden Kleinkindern. Dissertation, Universität Bremen.
* 4.
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