Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
Atemraum
Meditation ist nicht an einen bestimmten Ort oder eine bestimmte Körperhaltung gebunden. Wann immer Sie eine kurze Zeitspanne zur Verfügung haben, können Sie den sogenannten Atemraum (Engl. breathing space ) praktizieren, der nicht mehr als drei Minuten in Anspruch nimmt. Diese Übung besteht aus drei Elementen:
Gewahrsein: Nehmen Sie alle Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen bewusst wahr.
Sammlung: Beobachten Sie den Atem, und ruhen Sie im gegenwärtigen Augenblick.
Ausdehnen: Nehmen Sie den Körper als Ganzes wahr.
Ursprünglich wurde diese Übung für die Rückfall-Prophylaxe von depressiven Patienten entwickelt, um Phasen negativen Grübelns zu unterbrechen (Segal et al., 2008). Aber auch bei Stressbewältigungskursen mit Studierenden hat sich gezeigt, dass diese Mini-Meditation als praktikabel und sehr wohltuend erfahren wird (Lynch et al., 2009). Ein starker und schneller Effekt tritt insbesondere dann ein, wenn Sie die einzelnen Elemente zuvor intensiv geübt und vertieft haben. Bisher haben wir uns vorrangig mit dem zweiten Punkt, der Sammlung und Beruhigung mit Hilfe des achtsamen Atmens, beschäftigt. Das nächste Kapitel ist der bewussten Wahrnehmung von gegenwärtigen Körperempfindungen und Gefühlen gewidmet, die im ersten und dritten Punkt enthalten sind.
Bevor Sie mit dem Lesen fortfahren, halten Sie bitte einen Moment inne. Sie können dieses Buch von vorne bis hinten durchlesen, um sich einen Eindruck vom gesamten Weg zu verschaffen, der darin beschrieben ist. Sie haben dann eine Landkarte im Kopf und können sich anschließend auf den Weg machen, wenn Sie möchten. Ein Nachteil bei dieser Vorgehensweise liegt darin, dass Sie sich zunächst viel theoretisches Wissen aneignen, aber nur wenige praktische Erfahrungen machen. Wenn Sie die Anleitungen zum Meditieren lediglich lesen, entwickeln Sie zwar eine Vorstellung davon, was diese in Ihnen bewirken könnten, die beschriebenen Veränderungen Ihres Bewusstseins treten jedoch erst ein, wenn Sie die Übungen tatsächlich praktizieren.
Für anspruchsvollere Techniken der nachfolgenden Kapitel schaffen die Übungen zum achtsamen Atmen wichtige Voraussetzungen: Sie lernen, aufrecht und entspannt zu sitzen, einen Zustand innerer Ruhe herzustellen und Ihre Aufmerksamkeit auf einem gewählten Objekt zu halten. Diese Basisfertigkeiten benötigen Sie, um beispielsweise Ihre Aufmerksamkeit systematisch durch den gesamten Körper zu führen. Wenn Sie also die weiteren Übungen auch praktisch nachvollziehen möchten, dann legen Sie das Buch erst einmal zur Seite, und üben Sie so lange, bis es Ihnen gelingt, für mindestens zehn Minuten zu sitzen und achtsam zu atmen. Beginnen Sie mit zehn Atemzügen (oder zwei Minuten mit einem Wecker), und steigern Sie die Übungsdauer in kleinen Schritten.
Die Untergrenze von zehn Minuten ergibt sich daraus, dass Sie für einen vollständigen Body-Scan etwa diese Zeitspanne benötigen. Die typische Dauer einer Meditationssitzung liegt in vielen Traditionen zwischen 20 und 30 Minuten, manchmal auch bei 45 oder 60 Minuten. Probieren Sie aus, wie lange Sie die Aufmerksamkeit aufrechterhalten können. Wenn Sie bemerken, dass Sie sich nicht mehr konzentrieren können und ständig abschweifen, ist es womöglich besser, eine Pause einzuschieben, für fünf Minuten umherzugehen und sich dann erneut hinzusetzen. Oder Sie versuchen, den »toten Punkt« zu überwinden, indem Sie ein Mantra benutzen, um sich zu sammeln, oder indem Sie Ihre Gedanken und Gefühle der Müdigkeit selbst zum Objekt der Meditation machen.
Wie lange eine Sitzung am Morgen oder am Abend dauern kann, hängt natürlich in erster Linie von der freien Zeit ab, die Sie zur Verfügung haben. Wenn Sie in tiefere Erfahrungsbereiche vorstoßen möchten, empfiehlt es sich, am Wochenende oder im Urlaub mehrmals am Tag zu üben, getrennt von Erholungspausen, in denen Sie beispielsweise spazieren gehen oder einfache Arbeiten verrichten. Bei jeder weiteren Sitzung starten Sie dann auf einem tieferen Ausgangsniveau meditativer Sammlung und kommen leichter und schneller in die jeweilige Übung hinein.
Fühlen
Wie fühlen Sie sich – jetzt? Beim Lesen ist die Aufmerksamkeit zum einen auf die äußere Welt in Form des Textes gerichtet und zum anderen auf die Bedeutung der Worte und Sätze. Vielleicht gehören Sie zu den Menschen mit einer lebhaften Fantasie und Vorstellungswelt, die beim Lesen eines Romans ganz in die geschilderte Welt eintauchen
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