Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
ihrer Relevanz für das Verständnis und die Behandlung psychischer Störungen sind in den vergangenen Jahrzehnten auch die Emotionen verstärkt in den Fokus der Forschung getreten und bilden inzwischen ein eigenständiges, aktives Forschungsfeld (affective neuroscience) .
Eines der vergleichsweise bisher noch kaum erschlossenen Untersuchungsfelder stellen mystische Erfahrungen dar und die Methoden, mit denen diese veränderten Bewusstseinszustände hervorgerufen werden können. Obwohl seit Ende der 60er Jahre der Versuch unternommen wurde, das Forschungsgebiet der transpersonalen Psychologie zu entwickeln, konnte sich diese Richtung nie dauerhaft in der akademischen Welt etablieren (Walach et al., 2005). Einen neueren Versuch, diesem Phänomenbereich mehr Geltung zu verschaffen, stellt die Strömung der positiven Psychologie dar (Laurenz, 2009), die spirituelle Erfahrungen einbezieht (Bucher, 2007). Außerdem beginnt sich eine neue akademische Disziplin zu entwickeln, die sich mit den Auswirkungen von Meditation und anderen spirituellen Praktiken auf Bewusstsein und Gehirn beschäftigt ( contemplative neuroscience , siehe Lutz et al., 2007, und Links auf der Website zum Buch).
Grundlage der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesem Gebiet ist zunächst die Beschreibung der interessierenden subjektiven Erfahrungen im nachfolgenden Abschnitt. In einem zweiten Schritt wird daran anknüpfend der Versuch unternommen, das Auftreten dieser Erfahrungen mit neurophysiologischen Vorgängen zu erklären.
Mystische Erfahrungen
Für außergewöhnliche Erfahrungen, die durch intensive Meditationspraxis ausgelöst werden können, existieren viele Begriffe in den spirituellen Traditionen, wie beispielsweise die verschiedenen Stufen von Samadhi in der Yoga-Lehre oder Kensho und Satori im Zen. Diese Begriffe werden häufig unterschiedlich übersetzt (vollkommene Konzentration, Versenkung, Überbewusstsein, Erwachen, Selbstwesensschau, Erleuchtung) und sind eng verwoben mit philosophischen Annahmen der jeweiligen Traditionen.
In der psychologischen Forschung stützt sich die Definition von Bewusstseinszuständen auf eine möglichst unvoreingenommene Schilderung der Erlebensmerkmale. Persönliche Berichte von mystischen Erfahrungen bildeten so auch die Grundlage für die Analyse von James (1902), der vier typische Kennzeichen herausarbeitete:
Unaussprechlichkeit: Die Betroffenen geben an, dass sich die Erfahrung nicht angemessen mit Worten ausdrücken lässt.
Noetische Qualität (abgeleitet von Noetik , der Lehre vom Denken, vom Erkennen geistiger Gegenstände): Es handelt sich um Zustände des Wissens und tiefer Einsichten, die nicht durch diskursives Denken erreicht werden können. Die Betroffenen beschreiben, dass ihnen etwas offenbart wurde, was von großer Bedeutung und Wichtigkeit ist und eine nachhaltige Wirkung auf sie ausübt.
Flüchtigkeit: Die Erfahrungen sind meist von kurzer Dauer (Minuten bis Stunden).
Passivität: Die Zustände unterliegen nicht der willentlichen Kontrolle; sie treten in der Regel plötzlich und unerwartet auf.
Eine erweiterte Liste typischer Merkmale wurde von Stace (1961) erstellt und bereitete die Grundlage für die empirische Forschung mit Fragebögen (Hood, 1975):
Einheit
Transzendenz von Raum und Zeit
Eine tief positive Stimmung
Gefühl der Heiligkeit
Objektivität und Realität
Paradoxie
Behauptete Unaussprechlichkeit
Flüchtigkeit
Bleibende positive Veränderungen in Einstellungen und Verhalten
Mit Ausnahme des Kriteriums der »Passivität« sind in dieser Auflistung alle Merkmale von James enthalten (die noetische Qualität ist im Kriterium »Objektivität und Realität« enthalten). Bezüglich der Unaussprechlichkeit merkt Stace an, dass diese zwar stets betont werde, andererseits aber ausführliche Schilderungen geliefert würden. Die »behauptete« Unaussprechlichkeit bezeichnet somit vor allem die Schwierigkeit, die besondere Qualität der Erfahrung sprachlich zu vermitteln.
»Einheit« führt die Aufzählung von Stace an und wird von ihm als wichtigstes definierendes Merkmal angesehen. Dies spiegelt sich auch im Begriff der Unio mystica wider und in der zentralen Aussage der Mystiker: »Alles ist eins.« Aufgrund seiner Analyse von Berichten aus verschiedenen Kulturen und Epochen kam er zu dem Schluss, dass es sich um einen kulturunabhängigen gemeinsamen Kern solcher Erfahrungen handele. Auch die umfassende Analyse von Erlebnisberichten von Marshall aus dem Jahr 2005
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