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Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)

Titel: Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ott
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Programme zur Koordination von Wahrnehmung und Motorik. Dabei erleben wir uns normalerweise als von der Außenwelt getrenntes Individuum. Das heißt, dass die Repräsentationen von uns selbst in Form unserer Körperempfindungen nicht verbunden werden mit dem, was wir an Objekten in der Außenwelt wahrnehmen.
    Eine Hypothese, die erstmals in meiner Doktorarbeit (Ott, 2000) formuliert wurde, besagt, dass während mystischer Erfahrungen die Repräsentationen von Innen- und Außenwelt miteinander verschmelzen, weil es zu einer großräumigen Synchronisierung der EEG-Wellen im Gamma-Bereich kommt. Im normalen Wachzustand sorgt ein fein abgestimmtes System von hemmenden und erregenden Schaltkreisen für ein geordnetes Nebeneinander und Nacheinander von Bewusstseinsinhalten. Wir teilen das Wahrnehmungsfeld in ein Subjekt und verschiedene Objekte auf, die voneinander getrennt sind. Der Fokus der Aufmerksamkeit greift jeweils einzelne Aspekte der Innen- und Außenwelt heraus und bildet sinnvolle Abfolgen von Wahrnehmungen und Aktionen.
    Diese psychischen Vorgänge sind begleitet von einem raschen Auftauchen und Verschwinden von Gamma-Oszillationen , die jeweils nur für kurze Zeit die Repräsentationen bilden, die gerade aktiv sind. Für die zuverlässige Informationsverarbeitung ist diese raumzeitliche Koordination der Hirnaktivität von grundlegender Bedeutung (siehe Varela et al., 2001). Bei einer globalen Synchronisierung der Gamma-Aktivität wäre keine Differenzierung mehr möglich, weil alle Wahrnehmungsinhalte zu einem einheitlichen Ganzen verbunden würden.
    In der älteren wissenschaftlichen Literatur existieren vereinzelte Berichte, dass bei Meditierenden während tiefer Meditation eine erhöhte Gamma-Aktivität im EEG auftrat. Diese Befunde ließen sich in einer eigenen Studie zunächst nicht bestätigen (Ott, 2000). Seither sind jedoch einige weitere Studien erschienen, die von ungewöhnlicher hoher Gamma-Aktivität im EEG während veränderter Bewusstseinszustände berichten. So entdeckten Stuckey et al. (2005) eine starke Zunahme der Kohärenz im Gamma-Band bei zwei Personen während einer Gipfelerfahrung, die durch Ayahuasca , eine psychedelische Droge, ausgelöst worden war.
    In einer qualitativ hochwertigen EEG-Studie von Lutz et al. (2004) mit tibetischen Mönchen traten während einer Meditation allumfassenden Mitgefühls ebenfalls ungewöhnlich starke Gamma-Wellen auf, und zwar phasensynchron zwischen vorderen und hinteren Regionen sowie rechter und linker Hirnhälfte. Zudem war die Gamma-Aktivität während einer Ruhemessung umso höher, je länger die Mönche Meditation praktizierten. Eine Übersicht der bisher vorliegenden Befunde und neue Ergebnisse wurden schließlich von Cahn et al. (2010) publiziert. Sie entdeckten bei Meditierenden aus der Vipassana-Tradition erhöhte Gamma-Aktivität in hinteren Bereichen des Cortex (parietal-okzipital) . Der Anstieg der Gamma-Aktivität war bei Langzeitmeditierenden mit mehr als zehn Jahren Praxis besonders ausgeprägt.
    Die genannten Befunde sind ein Indiz dafür, dass die Gamma-Aktivität im EEG durch langjährige Meditationspraxis ansteigt. Ob es während mystischer Erfahrungen zu einer globalen Synchronisierung im Gamma-Bereich kommt, ist bisher ungeklärt, weil derartige Erfahrungen nur selten auftreten und nicht ohne weiteres unter Laborbedingungen herstellbar sind. Die Seltenheit und das unwillkürliche Auftreten mystischer Erfahrungen stellen für die empirische Forschung eine große Herausforderung dar (Ott, 2000, 2007) und erfordern eine enge Kooperation zwischen Forschern und Personen, die intensiv Meditation praktizieren (Ott, 2008). In zukünftigen Studien wird sich erweisen, ob mystische Erfahrungen bei Meditierenden tatsächlich mit einer verstärkten Gamma-Aktivität im EEG einhergehen. Solange weitere empirische Belege ausstehen, handelt es sich lediglich um eine plausible Spekulation. Es spricht jedoch einiges dafür, dass eine globale Synchronisierung möglich ist und dass Meditationstechniken gezielt darauf ausgerichtet sind, ein solches Phänomen hervorzurufen (Ott, 2000).
    Phasenübergänge der Hirndynamik
    Aktuelle Modelle der Hirndynamik erklären, wie komplexe Interaktionen hemmender und erregender Aktivität im Gehirn das synchrone Feuern von Nervenverbänden im Gamma-Frequenzbereich regulieren (Bojak & Liley, 2007; Freeman & Vitiello, 2006). Die Forschung zu veränderten Bewusstseinszuständen zeigt, dass die Regulationsmechanismen

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