Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
eine begrenzte subjektive Welt erschaffen, durch die wir uns bewegen wie durch einen Tunnel. Dieser »Ego-Tunnel« (Metzinger, 2009) beruht auf einem Modell, das wir von uns selbst und unserer Umwelt entwickelt haben. Mystische Erfahrungen eröffnen eine veränderte Perspektive, die die Vorstellungen von der eigenen Person nachhaltig beeinflussen kann, indem sie deren konstruktive Natur offenbart.
De-Automatisierung
Wie viele Tätigkeiten führen Sie automatisch und damit weitgehend unbewusst aus? Sie haben bereits gelernt, bewusster zu atmen, Ihren Körper zu spüren, wenn Sie sitzen oder stehen und gehen. Aber wie oft im Alltag bewegen Sie sich fort, ohne zu spüren, wie Sie die Treppen steigen oder das Auto steuern. Wie viele Handlungen laufen ab, ohne dass Sie bewusst mitbekommen, was Sie gerade tun? Für viele Verhaltensweisen verfügen wir über Skripte, in denen der Ablauf von Handlungen festgelegt ist. Wir benötigen nur einen kleinen Teil unserer geistigen Ressourcen zur Überwachung, dass sich alles im erwarteten Rahmen bewegt, und können parallel dazu über alles mögliche andere nachdenken.
Im Alltag führt dies dazu, dass wir oft nicht ganz bei der Sache sind, die wir gerade tun, sondern immer schon beim nächsten Schritt oder auch ganz woanders. Mystische Erlebensweisen sind hingegen dadurch gekennzeichnet, dass der oder die Betreffende völlig in einer Sache aufgeht. Sie können sich in diesem Erfahrungsmodus üben, indem Sie versuchen, den sogenannten »Autopilotenmodus« (Kabat-Zinn, 2006) zu verlassen. Richten Sie Ihre gesamte Aufmerksamkeit auf das, was Sie jeweils tun, auch wenn es eine routinierte Alltagshandlung ist, wo dies eigentlich nicht erforderlich wäre. Unterbrechen Sie immer wieder die Routine, indem Sie sich fragen: »Was ist jetzt?«
Anregungen für Übungen im Alltag finden Sie am Ende des Buches bei den weiterführenden Hinweisen (»Informelle Achtsamkeitsübungen«). Bei der Sitzmeditation besteht die Übung darin, keine Meditationsroutine zu entwickeln, sondern einen »Anfänger-Geist« zu bewahren, so als ob Sie sich zum ersten Mal zur Meditation hingesetzt hätten und keine Ahnung haben, was passieren wird. Setzen Sie sich zur Meditation, ohne ein bestimmtes Resultat zu erwarten. Lassen Sie sich überraschen von dem, was passiert, und seien Sie nicht enttäuscht, wenn nichts Besonderes passiert.
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Ohne Erwartungen zu sein ist keine leichte Aufgabe. Beobachten Sie, wie Sie auch beim Lesen ständig im Hintergrund Erwartungen bilden, um für sich zu entscheiden, ob Sie eine Übung ausprobieren möchten. Klingt es attraktiv, eine mystische Erfahrung zu machen? Möchte ich das Risiko eingehen, meine Zeit zu verschwenden? Der geistige Apparat ist ständig dabei, zu überprüfen und zu bewerten, welche Verhaltensweisen welche Konsequenzen haben werden. Versuchen Sie wahrzunehmen, was Sie reizt und motiviert, was Sie attraktiv oder irritierend finden und wie sich daraus Ihre Entscheidungen bilden. Beobachten Sie das Spiel Ihres eigenen Egos, wenn Sie sich zur Meditation hinsetzen, ohne ein klares Ziel zu definieren. Identifizieren Sie sich mit dem Beobachter, der einfach nur zuschaut, ohne irgendetwas tun zu müssen oder sich zu rechtfertigen.
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Die einzige Aufgabe dieses Buches besteht darin, Sie bei verschiedenen Experimenten der Selbsterforschung anzuleiten. In diesem Kapitel geht es darum, dass Sie eine Meta-Perspektive auf Ihr eigenes Leben einnehmen und hinterfragen, wie Sie sich selbst sehen und Ihr Leben organisieren. Erst wenn Sie den Autopiloten bemerken, können Sie sich entscheiden, ihn auszuschalten und die Wahrnehmung des gegenwärtigen Geschehens zu intensivieren. Erwartungen, Wünsche, Hoffnungen und Sorgen sind auf die Zukunft gerichtet und verstellen Ihnen den Blick für das, was jetzt ist. Versuchen Sie all diese Projektionen, Simulationen und Denkprozesse zeitweise beiseitezulassen. Lernen Sie in der Meditation, sich dem Hier und Jetzt zu öffnen, und bewahren Sie diese Offenheit bei der Wahrnehmung der Umwelt und dem Kontakt mit Ihren Mitmenschen. Dadurch können Sie die Spontaneität und Kreativität Ihrer Handlungen steigern. Richten Sie die Aufmerksamkeit nicht nur auf einzelne Aspekte einer Situation, sondern versuchen Sie stets, die Gesamtsituation im Blick zu behalten. Entdecken und nutzen Sie die Freiheit zur Selbstbestimmung Ihres Lebens, indem sie jene Skripte verändern, die nicht dem entsprechen, was Sie wirklich wollen.
Existentielle
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