Meditation für Skeptiker: Ein Neurowissenschaftler erklärt den Weg zum Selbst (German Edition)
von einer intakten Hirnstruktur, einem neurochemischen Gleichgewicht und einem mittleren Erregungsniveau abhängen (Vaitl et al., 2005). Durch den Wach-Schlaf-Rhythmus, neurologische und psychiatrische Erkrankungen (Epilepsie, Schizophrenie), psychoaktive Substanzen (Narkosemittel, psychedelische Drogen etc.) und psychophysische Übungen (Hyperventilation, Meditation) wird die Hirndynamik stark beeinflusst. Insbesondere wenn Kontrollfunktionen im Präfrontalcortex vorübergehend aussetzen, kann es zu einer Vielzahl ungewöhnlicher Erfahrungen kommen (Dietrich, 2003).
Während der Meditation ist die Stimulation durch Umgebungsreize stark herabgesetzt, und durch die bewegungslose Haltung nehmen auch die Rückmeldungen aus dem Körper ab. Dies stellt eine milde Form des Reizentzugs dar, der vermutlich dafür verantwortlich ist, dass Teilnehmer intensiver Meditationskurse von einem verstärkten Auftreten innerer Bilder berichten. Durch das gleichmütige Beobachten stellt sich schließlich ein Zustand großer Wachheit, Aufmerksamkeit, Klarheit und Stille ein. Solch ein Zustand könnte die ideale Voraussetzung dafür sein, dass sich die Gehirndynamik verselbständigt und spontan in einen Zustand globaler Synchronisierung übergeht.
Auf der Ebene der Hirndynamik wird ein derartiges Geschehen als Phasenübergang bezeichnet. Dazu kommt es beispielsweise beim Erwachen aus dem Schlaf oder wenn ein epileptischer Anfall auftritt. Die Hirndynamik kann sehr schnell von einem Aktivitätsmodus in einen anderen wechseln. Der Übergang von einem kontrollierten Modus selektiver und sequentieller Informationsverarbeitung in einen Zustand globaler Synchronisierung schneller EEG-Wellen im Gamma-Bereich würde die Erfahrung einer allumfassenden Einheit während mystischer Erfahrungen erklären.
Die Aufgabe der Kontrolle und Selektivität birgt jedoch auch das Risiko einer Desintegration. Durch die Einnahme psychedelischer Drogen können nicht nur mystische Erfahrungen ausgelöst werden, sondern auch sogenannte Horrortrips, die mit einer »angstvollen Ich-Auflösung« einhergehen (Dittrich et al., 1985). Durch den Kontrollverlust kann der Cortex mit Inhalten überflutet werden (Vollenweider & Geyer, 2001). Ebenso kann es durch intensive Meditation zu einer Destabilisierung kommen (Scharfetter, 1992). Die nachfolgenden Übungen sind daher nicht für psychisch labile Personen geeignet.
Meditationsübungen
Alle Übungen in den vorherigen Kapiteln setzen voraus, dass Sie über eine funktionierende Ich-Kontrolle verfügen, und haben Sie darin unterstützt, Ihre Fähigkeit zur Steuerung der inneren Abläufe auszubauen. Aus der Sicht dieses Kapitels dienten all diese Übungen lediglich der Vorbereitung für eine weitere Stufe, bei der Sie diese Ich-Kontrolle vorübergehend aufgeben. Der Geist ist ständig damit beschäftigt, Erinnerungen, Fantasien, Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen hervorzubringen. Bei den Meditationsübungen selbst hatten Sie die Absicht, bestimmte Ziele zu erreichen. Sie haben aufgrund der Anleitungen automatisch Erwartungen gebildet, welche erwünschte Wirkung diese oder jene Übung haben wird. Dies hat Sie zum Üben motiviert.
In diesem Kapitel besteht die Absicht paradoxerweise darin, keinerlei Absichten zu verfolgen, sondern sich ganz dem zu öffnen, was in diesem Moment ist. Dies beinhaltet, keine Hoffnungen und Erwartungen aufzubauen, welche Zielzustände in der Zukunft durch die gegenwärtige Handlung erreicht werden sollen. Dem üblichen Handlungsmodus, der Ihnen dabei dienlich ist, Ihren Alltag zu bewältigen, indem Sie Absichten verfolgen und Handlungen vollziehen, um bestimmte Ziele zu erreichen, diesem Modus wird in den nachfolgenden Übungen entgegengewirkt. Mystische Erfahrungen unterliegen nicht der willkürlichen Kontrolle. Bemühungen und Anstrengungen wären kontraproduktiv. Sie können nichts tun, außer alle Erwartungen, Wünsche und Hoffnungen aufzugeben. Wenn Sie alle ich-zentrierten geistigen Vorgänge, die um die Vergangenheit und Zukunft kreisen, zur Ruhe bringen, besteht die Chance, dass ein fundamentaler Wechsel der Wahrnehmung stattfindet, der mit einer tiefen Selbsterkenntnis einhergeht. Mystiker beschreiben dies als die Erfahrung der Identität mit einem Urgrund der Wirklichkeit, der hinter allen Formen liegt, mit denen wir uns normalerweise identifizieren (Körper, Persönlichkeit, Rollen).
Die nachfolgenden Übungen zielen allesamt darauf ab, ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, wie wir
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