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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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von PETA nicht recht gab, aber der seidige Pelz hatte etwas schon fast sündig Tröstliches an sich. Und in der Kabine war es kalt.
    Sie zog die Decke vom Bett herunter und wickelte sie sich, während sie aufstand, wie ein Badetuch oder Bärenfell um den Leib. Die Enden schleiften auf dem Boden.
    Dann trippelte sie zu einem Stuhl. Nicht zu dem, den er ihr hinhielt. Sie wollte ihm nicht so nahe kommen. Sie ließ sich auf dem Stuhl nieder und verschränkte die Arme über der Brust, wie ein Vorschulkind, das sich weigerte, am Kreisspiel teilzunehmen.
    Conn presste die Lippen zusammen. Seine Augen verdunkelten sich. Nun, da er sie hatte, wo er sie haben wollte –
haha
–, schien es ihm seltsamerweise schwerzufallen, einen Anfang zu finden. Es sei denn, dieses Schweigen war seine Art, sie zum Sprechen zu bringen.
    »Also.« Vielleicht sollte sie ihn in Stimmung bringen.
Kein Mann. Kein Mensch,
hallte es in ihrem Kopf wider. »Was bist du dann?«
    »Ich bin ein Selkie.« Eine weitere Pause hing zäh in der Luft. »Wie deine Mutter.«
    Das Ding in ihr schlug einen Purzelbaum, wie ein Kind im Mutterleib, und sog ihr die Luft aus den Lungen. Alles Blut zog sich aus ihrem Kopf zurück.
    Der Stuhl schrammte über den Boden, als sie aufstand. »Nein.«
    Er zog die Augenbrauen hoch. »Mit der Legende bist du wohl nicht vertraut.«
    »Äh.« Ihr Mund war trocken. Ihre Haut fühlte sich an, als würde sie brennen. Fiebern. »Es gab da mal einen Kinderfilm.
Das Geheimnis des Seehundbabys.
Über eine Frau, die sich in einen …«
    Es schnürte ihr die Kehle zu. Der Druck breitete sich in ihrer Brust aus. Sie konnte es nicht aussprechen, denn dann musste sie ihn ernst nehmen. Dann musste sie viele Dinge ernst nehmen, bei denen sie normalerweise sehr sorgfältig darauf achtete, sie nicht einmal zu denken.
    Conn nickte. »In einen Seehund.«
    Vielleicht halluzinierte sie noch immer. Oder sie träumte.
»Deine Mutter war eine Selkie.«
    Lucy fröstelte und zog die Decke enger um sich. Das Fell strich über ihre nackte Haut.
    Fell. O Gott.
    Sie erschauerte und ließ es fallen. Der Pelz legte sich schwer um ihre Füße.
    Er sah sie teilnahmslos an.
    »Hat es … Gehört es …«
    »Mir«, bestätigte er.
    Sie rang mühsam um Atem. »Ich hatte es an …«
    »Stell dir einfach vor, du hättest dir meinen Mantel geborgt«, schlug er vor.
    Sie blinzelte. Versuchte er, ihr ein besseres Gefühl zu geben? »Du bist ein Tier.«
    Er runzelte die Stirn. »Ein Elementargeist.«
    »Ist das ein Unterschied?«
    »Die Elementargeister sind unsterblich und gehören zur Ersten Schöpfung. Deine eigene Mutter –«
    »Meine Mutter lässt du aus dem Spiel. Ich hab dir doch schon gesagt, dass ich mich nicht einmal mehr an sie erinnere.«
    »Aber du bist von ihrem Blut«, warf Conn ein. »Du hast ihre Kräfte. Du und deine Brüder.«
    Ihre Brüder.
    Sie hielt den Atem an.
    Was er ihr eben erklärt hatte, flammte in ihrem Kopf auf wie eine Lampe in einem stockdunklen Raum. Als würde sich eine Tür in ihr öffnen. Was neulich Abend geschehen war, sah sie nun in einem ganz anderen, völlig neuen Licht. Ihre Familie, die sich gegen sie verschworen hatte. Caleb und Margred hatten lange Blicke ausgetauscht, die ausnahmsweise einmal nichts damit zu tun hatten, dass sie frisch verheiratet waren. Dylan hatte angespannt gewirkt und geschwiegen. Selbst Regina hatte sie mit diskretem Mitgefühl angesehen – oder vielmehr vermieden, sie anzusehen.
    Sie kannte sie alle nicht mehr.
    Sie wusste nichts mehr.
    »Sie … wissen es?«
    »Ja«, erwiderte Conn.
    Sie fuhr zusammen. »Alle?«
    »Dein Bruder ist ein Selkie. Und Margred auch.«
    Sie erstarrte abweisend, selbst dann noch, als die Gewissheit in ihrem Bauch einen dicken Kloß bildete. »Ich glaube dir nicht. Caleb –«
    »Nicht Caleb. Dylan.«
    Ihr war kalt. Sie war fast nackt. Sie fror. »Das ist nicht möglich.«
    »Wirklich? Was meinst du wohl, wo er all die Jahre war?« Conns Stimme brandete ihr entgegen, unbarmherzig wie die See. »Und woher ist Margred so plötzlich gekommen?«
    Lucy schwirrte der Kopf. Ihre Zunge formte nur schwerfällig die Worte. »Sie … Sie wurde angegriffen. Am Strand. Caleb hat sie gefunden.«
    Am Strand.
Ohne Kleider, ohne Erinnerung, ohne Vorstellung, wie sie zurechtkommen sollte, und ohne Familie, die man von ihrer Auffindung benachrichtigen konnte.
    Lucys Beine versagten ihr den Dienst. Sie sank wieder auf den Stuhl.
O Gott.
    »Warum haben sie nichts gesagt? Warum haben sie es mir

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