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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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reden wir überhaupt nicht viel.«
    Sie stand definitiv unter einem Schutzzauber, dachte Conn. Sie fühlte sich wohler, wenn sie ihm Fragen stellte, als wenn sie etwas über sich erzählte.
    Ihm fiel ein, wie allein sie im Restaurant dagestanden hatte, als Beobachterin ihrer eigenen Familie.
    Isoliert.
    Und verletzlich.
    Das konnte er sich zunutze machen, dachte er.
    »Sie können ja mit mir reden«, sagte er.
     
    Lucy sperrte die Vordertür auf; dass Conn auf der Veranda hinter ihr stand, war ihr unangenehm bewusst. Ihre Hände schwitzten. Sie hatte Magenflattern. Einen Augenblick lang fühlte sie sich in die fünfte Klasse zurückkatapultiert, als sie sich gefürchtet hatte, Freunde mit nach Hause zu bringen.
    Die Tür öffnete sich quietschend. »Dad?«
    Keine Antwort.
    Ihr nervöser Magen entspannte sich.
    Der beruhigende Duft von Rindfleisch und Gemüse, die sie am Morgen in den Schmortopf gegeben hatte, begrüßte sie in einem Schwall und hätte fast den Geruch von Moder und alten Teppichen überdeckt.
    Lucy war mit einem Eimer voller Reinigungsmittel und einem Ratgeber für Haushaltsführung aus dem College nach Hause zurückgekehrt, als ob makellose Fliesen Glanz in ihrer aller Leben bringen könnten, als ob sie zusammen mit dem Staub auch die schlimmen Erinnerungen austreiben könnte.
    Vielleicht konnten ihre Bemühungen die Jahre der Unordnung und Vernachlässigung, das rissige Vinyl, den beengten Raum und den Schimmel nicht wettmachen, der mysteriöserweise unten an der Treppe wuchs. Doch wenigstens waren ihre Böden sauber.
    Conn folgte ihr, während sie das dunkle Wohnzimmer passierte und im Vorbeigehen die Lichtschalter betätigte. Dann stand er mitten auf ihrem gescheuerten Küchenboden, in seinem übertriebenen Aufzug, deplaziert, dunkel und wild. Ihr Herz vollführte einen Trommelwirbel. Sie wurde ganz atemlos, als hätte er seinen Trick wiederholt, wie man auf einmal den gesamten Sauerstoff aus einem Raum wegatmete.
    Und doch bewegte er sich nicht; er stand nur da, die Hände noch immer auf dem Rücken verschränkt.
    »Wo ist Ihr Vater?«, fragte er.
    Sie ergriff einen Löffel, hob den Deckel des Schmortopfes an und hoffte, dass er ihre roten Wangen nicht bemerken möge. »Draußen«, antwortete sie, während sie umrührte.
    Conn warf einen Blick aus den mittlerweile dunklen Fenstern. »Es ist spät, um Fallen einzuholen.«
    Er wusste, dass ihr Vater Hummerfischer war. Lucys Hand packte den Löffel fester. Was wusste er noch?
    »Mein Vater ist jeden Morgen ab fünf auf dem Wasser. Und an den meisten Tagen um vier wieder hier. Er lädt ab und verkauft der Genossenschaft seinen Fang.« Erfreut, dass weder ihre Hand noch ihre Stimme zitterte, legte sie den Löffel auf die Arbeitsplatte. »Und dann geht er an die Bar im Inn und trinkt, bis sie ihm nichts mehr geben.«
    Sie legte den Deckel wieder sorgfältig auf den Topf und drehte sich zu Conn um, den Rücken zum Herd, das Kinn emporgereckt. »Haben Sie Hunger?«
    Eine kurze, aufgeladene Stille lastete zwischen ihnen.
    Conn studierte ihr Gesicht. Seine silberfarbenen Augen wirkten unergründlich. »Ja. Danke. Das duftet sehr gut.«
    Vor Erleichterung und Enttäuschung sackte sie ein wenig in sich zusammen.
    Was hatte sie erwartet?
    Dass er sagte, es täte ihm leid für sie, für ihren Säufervater, für ihre beschissene Kindheit?
    Dass er sie von den Füßen reißen und wie ein Prinz im Märchen mit sich nehmen würde?
    Wie selten dämlich.
Sie wollte kein Mitgefühl. Keine Erlösung. Schon gar nicht von einem Fremden mit kalten Augen, der Knoten in ihre Eingeweide knüpfte.
    Wie gut, dass er nichts von alldem angeboten hatte.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie. »Ich hole Ihnen einen Teller.«
    Er hob die Augenbrauen. »Sie müssen mit mir essen.«
    Nicht:
»Würden Sie mit mir essen?«
Keine Frage oder Bitte. Offenbar erwartete er, dass sie sich ohne Widerrede setzte und so tat, als wäre alles in Ordnung.
    Lucy biss sich auf die Unterlippe. Und das würde sie auch tun.
    Weil sie es immer tat.
     
    Conn achtete in der Regel kam darauf, was er aß oder nicht aß. Warmes Essen allerdings war etwas anderes als seine übliche Rohkost. Der schlichte Eintopf hatte seinen Appetit angeregt.
    Er sah dem Mädchen – Lucy – zu, während sie abräumte und das bisschen Geschirr abwusch. In ihrem eigenen Revier schien sie sich ziemlich gut auszukennen. Er beobachtete ihre präzisen, geübten Handbewegungen, als sie einen Teller abspülte und ihn auf die

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