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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Gesicht.
    Sie lag auf dem Acker und sah zu, wie die Wolken über den Himmel jagten, nahm die letzten Sonnenstrahlen in sich auf und lauschte dem Flüstern des Windes.
    Eine Spottdrossel landete auf einem nahen Pfosten, machte große, wilde Augen und startete sofort wieder. Eine Ameise krabbelte auf ihrer Wanderschaft durch die Ackerfurchen über die reglose Hand der
claidheag
. Langsam formte sich ein Gedanke, ein blasser Trieb aus einem Samenkorn Bewusstsein.
    Sie gehörte nicht hierher, abgeerntet, abgeschnitten von der Erde.
    Nicht mehr.
    Seufzend kam die
claidheag
auf einen Ellbogen und dann auf die Knie. Auf die Füße. Sie sollte gehen … Das Wort war tief in ihr vergraben, ein dickes, rundes Wort, moderig vor Enttäuschung.
Heim.
Sie sollte heimgehen.
    Sie watschelte auf die Straße zu, um dem Ziehen des Blutes, dem Rühren einer Erinnerung zu folgen.
     

[home]
    4
     
    Caleb sah zu, wie Maggie einen weiteren Teelöffel Zucker in ihrer Tasse verrührte. Weniger als vierundzwanzig Stunden nach ihrem Treffen mit dem Selkie-Prinzen saßen sie an ihrem eigenen Küchentisch. Die nächtliche Brise strömte durchs Fenster herein und brachte den Geruch salzigen Holzes mit.
    Davon hatte er geträumt: Maggie war in seinem Haus und in seinem Leben, und am Ende des Tages tauschten sie ihre Gedanken aus. Nach zwei Monaten Ehe kannte er ihre Vorlieben und ihre Angewohnheiten; er wusste, dass sie ihren Kaffee süß mochte und offene Fenster und Sex früh am Morgen.
    Aber er wusste nicht, wie er ihr geben sollte, was sie sich wünschte. Diesmal nicht.
    »Vielleicht in ein paar Jahren«, sagte Caleb. »Wenn sich die Dinge geändert haben.«
    Sie warf ihm einen ironischen Blick zu. »Wenn ich 705 bin?«
    Er legte seine Hand über ihre auf dem Tisch. »Du siehst keinen Tag älter als 300 aus.«
    »Das ist ein Trost.« Aber sie lächelte und drehte ihre Handfläche nach oben, um ihre Finger in seine zu verschränken. »Ist schon gut, Caleb. Ich bin hier glücklich. Mit dir.«
    Ein wenig Anspannung fiel von seinen Schultern ab. »Dann teile ich Conn morgen früh unsere Antwort mit.«
    Margred schloss die freie Hand um ihre Tasse »Und was ist mit Lucy?«
    Caleb spürte, wie die Steifheit in seinen Nacken zurückkroch. »Was soll mit ihr sein?«
    »Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich … habe ich gespürt …« Margred schüttelte den Kopf. »Auch sie ist die Tochter deiner Mutter.«
    Alles in ihm wehrte sich gegen diese Vorstellung. Seitdem Lucy ein Kleinkind mit dicken Beinchen und einem entzückenden Lächeln gewesen war, war sie seine Kleine. Er war derjenige gewesen, der sich um sie gekümmert hatte. Der sie beschützt hatte. Der ihr Mittagessen gemacht und ihre Schrammen verarztet, ihr Geschichten vorgelesen und sie ins Bett gebracht hatte.
    »Lucy ist ein Mensch«, gab er kurz angebunden zurück. »Sie hat sich nie verwandelt.«
    Selkies behielten die Gestalt, in der sie geboren wurden, bis sie geschlechtsreif wurden. Seehunde lebten drei bis sechs Jahre als Seehunde; die Menschen bewahrten sich ihre menschliche Gestalt bis zur Pubertät. Als Calebs Bruder Dylan dreizehn Jahre alt geworden war, hatte er sich zum ersten Mal verwandelt. Es hatte seine Familie auseinandergerissen. Atargatis – ihr Vater hatte sie Alice genannt – hatte ihren Mann, den zehnjährigen Caleb und Lucy, die noch ein Baby war, verlassen und war mit ihrem älteren Sohn ins Meer zurückgekehrt.
    »Woher willst du das wissen?«, fragte Margred. »Du warst doch nicht hier.«
    Caleb fuhr sich durch das kurze Haar. »Um Himmels willen, sie hat mich sogar in der Schule angerufen, um mir mitzuteilen, dass sie ihre Periode bekommen hat. Man möchte meinen, dass sie auch die Kleinigkeit erwähnt hätte, dass ihr Flossen und Fell gewachsen sind.«
    »Hätte sie das?«
    Caleb biss die Zähne zusammen. »Lucy ist so menschlich, wie ich es bin«, beharrte er. »Wenn sie es nicht wäre, würdest du es merken. Hättest du es schon längst gespürt. Oder Dylan.«
    »Ja. Aber sie hat immer noch das Blut eurer Mutter in sich. Wenn sie ein Kind bekäme –«
    Er wollte gar nicht daran denken. Seine Schwester hatte eben erst das College beendet. War kaum den Windeln entwachsen.
    »Malen wir nicht den Teufel an die Wand«, erwiderte Caleb. »Jesus, sie hat ja nicht mal einen festen Freund.«
    »Regina hatte das auch nicht, bevor sie deinen Bruder traf«, konterte Margred.
    »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass meine Schwester von einem Selkie

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