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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Herz flatterte vor nervöser Erwartung. Ein großer doppelter Torbogen führte hinaus auf ein Geviert mit kurzem, dichtem Gras. Auf allen vier Seiten wuchsen die Mauern glatt und grau empor, endeten schließlich in Türmen. Wasser strömte aus einem geschwungenen Rohr in einer Mauer und ergoss sich in ein tiefes, rundes Steinbassin.
    Sie erkannte Roth auf der niedrigen Steinumfassung. Mit gespreizten Beinen und den Ellbogen auf den Knien saß er da wie ein Fußballspieler am Spielfeldrand. Neben ihm wartete ein Mann.
    Ihr Herzschlag geriet ins Stolpern.
    Nicht Conn.
    Der Burgvogt, Griff Sowieso.
    Lucy ließ die Luft entweichen wie ein verschrumpelter Partyballon.
    Er neigte den Kopf. »Lady.«
    Sie nickte zurück, unsicher, was sie zu erwarten hatte oder was er von ihr erwartete.
    »Ich hoffe, Sie haben gut geschlafen.« Seine Augen waren müde und freundlich; in den Augenwinkeln zeichneten sich Krähenfüße ab.
    In diesem großen leeren Raum, in diesem gewaltigen leeren Bett, während die See die ganze Nacht unter ihrem Fenster brauste …
    »Ja.« Ihre Stimme kratzte. Sie räusperte sich. »Danke. Wo ist … äh …«
    »Der Prinz bittet um Urlaub«, sagte Griff in dankenswerter Vorwegnahme ihrer Frage. »Wichtige Geschäfte erfordern heute Morgen seine Aufmerksamkeit.«
    Was sie natürlich in die Kategorie »Nicht so wichtig« verwies. Sollte sie gekränkt sein? Oder erleichtert?
    Sie versuchte sich an einem Lächeln. »Dann sind Sie also jetzt mein Babysitter.«
    »Ein bisschen mehr als das.« Seine Stimme klang trocken. »Ich bin der Aufseher über Caer Subai. Ich diene dem Prinzen.«
    Oje. Hatte sie nun etwa
ihn
gekränkt?
    Um den Hals trug er eine Silberkette und eine flache Silberscheibe wie die von Dylan, auf der drei miteinander verbundene Spiralen eingraviert waren. Wie hatte Margred das genannt? Das Mal der Wächter.
    »Ich meinte nicht, dass Ihre Arbeit nicht auch wichtig sei«, beeilte sie sich zu sagen. Was auch immer es war. Was taten Wächter eigentlich? War er ein Gefängniswärter? »Nur, dass Sie jetzt eben mich am Hals haben.«
    Roth schnaubte.
    Griff brachte ihn mit einem Blick zum Schweigen. »Es ist ein Privileg, dass Sie bei uns sind.«
    »Wo ist, äh, Kera?«, fragte sie.
    »Keras Talent ist zu groß für meinen Unterricht«, entgegnete Griff.
    Lucy befeuchtete ihre Lippen. »Unterricht worin?«
    »Magie«, antwortete Iestyn.
    »Der Prinz dachte, dass wir Ihnen vielleicht helfen könnten, sich mit Ihrer Gabe vertrauter zu machen«, erklärte Griff.
    Ja.
Eine Welle des Instinkts, so heftig wie Hunger, wallte in Lucys Bauch auf.
    Nein, nein, nein.
Angst und Erinnerung sogen ihr die Luft aus den Lungen, schnürten ihr die Kehle zu.
Etwas Gewaltiges schoss aus ihrem Mund und krachte durch die Kabine wie eine Schockwelle. Gegenstände flogen, polterten durcheinander. Brachen entzwei. Dinge zersprangen. Glas. Ihr Kopf.
    Sie holte tief Luft. Hielt sie an, bis alles in ihr wieder an seinem ursprünglichen Platz war. »Danke, aber ich bin nicht … Ich kann nichts richtig.«
    Seine Augen waren freundlich und dunkel und so unergründlich wie die See. »Magie ist nichts, was wir
können
, Mädchen. Sie ist, was wir sind.«
    Sie schluckte. »Ich weiß nicht, was ich bin.«
    »Vielleicht ist es dann an der Zeit, das herauszufinden.«
    Ihre Panik kehrte zurück. Vielleicht war ihr Leben vor Conn nicht großartig gewesen, aber es war
ihr Leben
. All die Jahre hatte sie sich abgerackert, um die Erwartungen ihrer Familie zu erfüllen, um ihren Platz in der zusammengewachsenen Inselgemeinschaft einzunehmen. Wenn sie zu viel lernte, wenn sie sich zu sehr veränderte, konnte sie dann jemals wieder heimkehren? Was, wenn ihre Familie und ihre Nachbarn sie nicht mehr akzeptierten? Oder würde es der Quadratur des Kreises gleichkommen, sich in ihrem alten Leben wieder einzurichten?
    Würde sie das überhaupt noch wollen?
    »Ich kann nichts richtig«, wiederholte sie. Und dann, ehrlicher: »Ich will nichts richtig können.«
    »Sie könnten zusehen«, sagte Iestyn.
    In der Stille wirkte das Plätschern des Brunnens sehr laut. Außerhalb der Schlossmauern kreischte ein Seevogel. Lucys Herz hämmerte in ihrer Brust.
    Griff und die Jungen betrachteten sie ebenso interessiert wie erwartungsvoll.
    Nur kein Druck, dachte sie.
    Sie schuldete ihnen nichts. Sie war hier, weil Conn sie entführt hatte. Und obwohl sie enttäuscht war, ihn heute Morgen nicht zu sehen, und egal, was er über ihre Mutter oder ihre höchst

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