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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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spürte das Pochen ihres Herzens unter ihrer Hand und erinnerte sich daran, wie Conns Körper sich an den ihren gepresst hatte, wie seine Begierde erwacht war, zusammen mit ihrer eigenen, wie sein Herz das ihre angetrieben hatte. Ein Atem. Ein Takt. Ein Puls. Ein Herz.
    Er ließ sie Dinge fühlen, an Orte gehen, an denen sie schon sehr lange nicht mehr gewesen war. Orte, die sie die meiste Zeit ihres Lebens gemieden hatte. Sie hatte Angst, dass sie sich in ihm verlieren könnte. Und noch mehr fürchtete sie, dass sie etwas in sich entdecken könnte, mit dem zu leben sie nicht ertragen würde.
    Wenn sie tat, was er wollte, wenn sie sich ihm fügte, wie sollte sie sich dann je wieder finden?
    Wie sollte sie je wieder nach Hause finden?
    Sie fröstelte und kehrte ans Fenster zurück. Durch das Glas mit den winzigen Luftblasen konnte sie den schwankenden Schatten des vor Anker liegenden Bootes sehen, einen schwarzen Fleck, der in der von Silber durchwobenen See gefangen war. Das einzige Boot im Hafen. Ihre einzige Fluchtmöglichkeit von der Insel.
    Sie machte sich gar nicht erst vor, ein zwölf Meter langes Segelboot auf einer rauhen Winterüberfahrt navigieren zu können. Aber solange sie das Boot hatte, gab es diese Möglichkeit. Sie hatte Hoffnung. Sie befanden sich in der Nähe der schottischen Küste, hatte Conn gesagt. Wenn sie aufs Meer hinaustrieb, würde sie vielleicht entdeckt und gerettet werden. Alles, was sie brauchte, war eine günstige Gelegenheit.
    Eine Gelegenheit und den Mut, sich dem Meer anzuvertrauen.
    »Du hast nur nicht den Mut«,
hatte Conn gesagt.
    Die Erinnerung daran stieg ihr heiß ins Gesicht und brannte in ihrer Brust.
    Sie holte zitternd Atem. Sie brauchte Luft. Sie brauchte … Sie nestelte an dem eisernen Riegel am Fenster, schob ein Quadrat aus Bleiglas auf und reckte den Hals, um einen Blick auf das Beiboot unten am Strand zu werfen.
    Eine Bewegung auf den Felsen zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Sie sah genauer hin, und die Luft, die sie eingesogen hatte, blieb ihr regelrecht im Halse stecken.
    Conn stand dort, wo Meer, Steine und Himmel sich trafen – eine einsame Gestalt, aus straffen, klaren Linien von Marmor und Mondlicht gemeißelt. Nackt. Seine Schultern schimmerten. Seine Muskeln wirkten fließend wie die Wellen, sein Haar war tiefschwarz, während er auf die See hinausblickte. Etwas an seiner Haltung, ein Schatten auf seinem Gesicht durchbohrte ihr Herz. Sie schloss die Augen, doch noch immer konnte sie ihn am Rande des Wassers brennen sehen, erschöpft, stolz und allein.
    So allein.
    Er machte alles zunichte, was sie von sich selbst glaubte, alles, was sie sich aufgebaut oder woran sie festzuhalten versucht hatte.
    Er brach ihr das Herz.
    Ruckartig wandte sie sich vom Fenster ab. Von ihm.
    Um fast auf das Seehundfell zu ihren Füßen zu treten. Ihr sprang das Herz in die Kehle.
    Der Pelz glänzte im Feuerschein, dunkel wie die Nacht, mit Reflexen aus Bernstein und Gold.
    Lucy biss sich auf die Lippen. Sie konnte doch etwas so Persönliches nicht wie einen Teppich auf dem Boden herumliegen lassen. Conn hatte vorgeschlagen, sie sollte ihn sich als seinen Mantel vorstellen, aber nun wusste sie es besser. Zögernd bückte sie sich, hob das Fell hoch und schloss es in die Arme.
    Das Fell raunte an ihrer Brust:
»So gewiss, wie du das Schicksal meines Volkes in Händen hältst, hältst du mein Leben in Händen … Ich brauche dich.«
    In ihrer Brust wurde es eng. Sie krallte die Finger in den Pelz, während ihr Blick zum Fenster wanderte.
    Sie glaubte, dass sie den Mut aufbringen konnte, zu gehen.
    Würde sie auch den Mut finden, zu bleiben?
     

[home]
    10
     
    Der Morgen war schwer von Nebel und Vorahnungen. Er wusch das Kopfsteinpflaster sauber wie Regen und hallte in den Gängen und Innenhöfen wider – wie eine sich sammelnde Armee.
    Lucy eilte Iestyn hinterher. Sie hatte das Gefühl, zu ertrinken, während sich ihre Lunge immer wieder mit kalter, feuchter Luft füllte. Ihre Füße rutschten. Ihr Herz klopfte. Sie wusste nicht, was los war. Madadh hielt sich dicht an den gobelingeschmückten Wänden und schlich ihnen als schlanker grauer Schatten voraus.
    Iestyn hatte ihr nichts gesagt, als er vorhin mit einer Tasse heißem Tee und einer Schüssel mit gesalzenem Haferbrei an ihrer Tür erschienen war. Nur, dass sie nach dem Frühstück »im inneren Burghof erwünscht« sei. Was auch immer das zu bedeuten hatte. Was auch immer dort war.
    »Hier entlang«, sagte Iestyn.
    Ihr

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