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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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unwahrscheinlichen zukünftigen Kinder sagte, sie schuldete auch ihm nichts.
    Seine Stimme dröhnte in ihren Ohren.
»Dein Bruder wusste, was er riskierte und wogegen er sich entschied. Du nicht.«
    Lucy runzelte die Stirn. Vielleicht schuldete sie dies ja sich selbst.
    Wenn sie kein Talent zur Magie hatte, würden sie sie dann gehen lassen?
    Ihr Blick suchte den von Griff. »Zeigen Sie es mir.«
     
    »Wetterzaubern ist die einfachste und die am weitesten verbreitete Begabung«, erklärte Griff mit seiner tiefen, angenehmen Stimme. Die Jungen lümmelten auf der Bank und auf dem Rasen und waren ganz offensichtlich gelangweilt von einer Lektion, die sie schon zu oft gehört hatten. Lucy hockte auf dem Mäuerchen, das den Brunnen einfasste, außer Reichweite des Wassers, die Hände im Schoß gefaltet. »Die erste, die sich zeigt, und oft die, die am leichtesten zu beherrschen ist.«
    »Außer Sex«, sagte Roth.
    Griff warf ihm einen strengen Blick zu. »Was keine Frau von dir lernen wird, Bürschchen, da du es ja selbst noch nicht beherrschst.«
    Iestyn grinste.
    Der größere Junge wurde rot bis unter die Haarwurzeln.
    »Wasser«, fuhr Griff fort, »ist unser Element. Wasser zu spüren, zu fühlen, zu beeinflussen ist unsere Stärke auf der Erde und über der Erde und unter der Erde. Da gibt es das Wasser, das man sehen und berühren kann – fließendes Wasser, Flüsse und Regen und Wolken. Aber es ist das Wasser, das man nicht sehen kann, das Regen und Wolken hervorbringt, das die Erde abkühlt und erwärmt und alles am Leben erhält. Das ist das Wasser, das man kennen und kontrollieren muss, wenn man Wetter zaubern will.«
    Sein Vortrag klang eigentümlich nach dem Unterricht in der fünften Klasse über den Wasserkreislauf, dachte Lucy. Kein Wunder, dass die Jungen gelangweilt aussahen. Sie hatte ja selbst Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Der Tag war so grau, und Griff dozierte weiter.
»Luft, die aufsteigt … absorbiert Wärme … Energie …«
    Sie schüttelte den Kopf. Nicht genug geschlafen.
    »Fühlen Sie den Sog der Erde«, drängte Griff so ruhig wie eine Trauertaube, die an einem langsam verstreichenden Sommernachmittag von den Bäumen herab gurrte. »Fühlen Sie den Fluss des steigenden Wassers.«
    Der Himmel klarte auf und verdunkelte sich wieder. Eine merkwürdige Brise wirbelte das Wasser im Brunnen auf und verschwand wieder. Niemand sprach. Nichts geschah.
    Lucy lehnte den Kopf an den Stein und schloss die Augen. Müde. Sie hatte nichts zu tun. Sie wollte nichts tun.
    »Folgen Sie dem Dampf, spüren Sie, wie kühl er ist«, sagte Griff.
    Sie fröstelte. Es war kalt. Zu kalt. Zu nass. Hinter den geschlossenen Lidern stellte sie sich Margred in der Diele vor, an jenem Morgen, als Caleb sie nach Hause mitgebracht hatte. Der Wind war durch die offene Haustür hereingeweht, und Margred hatte dem Regen ihre Arme entgegengestreckt. Sie erinnerte sich an das elektrische Knistern in der Luft und auf ihrer Haut, an das Gefühl der Fülle in ihrer Brust, die Schwere in ihrem Kopf. Sie fühlte sich high, schwindelig, als ob sie kilometerhoch über der Erde dahinschwebte. Wasser strömte dahin, Tropfen blitzten wie ein Fischschwarm auf. Sie öffnete den Mund, um zu atmen. Ein Drücken dorthin. Ein Stoßen.
    Ein Ploppen.
    Ein warmer Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht.
    »Gut gemacht«, lobte Griff leise.
    Lucy öffnete die Augen. Blinzelte.
    Das Wasser im Brunnen funkelte. Sie alle sahen sie an: Griff mit verhaltener Miene, Roth mit weit aufgerissenen Augen, Iestyn mit unverhohlener Bewunderung.
    Sie erschauerte. Diesmal nicht vor Kälte.
    »Was?« Ihre Stimme war schrill. »Ich habe nichts getan.«
    »Also, ich war’s nicht«, meine Iestyn. »Ich habe versucht, Regen zu machen.«
    »Ich wollte Sonne zaubern«, ließ sich Roth vernehmen.
    Griffs Augen verengten sich. »Wolltest du, aha.« Es war nicht wirklich eine Frage.
    Ihr Herz klopfte.
Das war nicht ich, das kann doch gar nicht sein.
    Oder doch?
    Die schiere Möglichkeit nagte an ihren Eingeweiden. Sie fühlte sich wie jener Junge aus Sparta, der einen Fuchs gestohlen und ihn unter seiner Tunika versteckt hatte. Entweder offenbarte sie sich oder ließ sich in Stücke reißen. Nichts von beidem erschien ihr verlockend.
    »Nichts ist passiert«, sagte sie. »Nicht wirklich.«
    Griffs Stirn legte sich in Falten. »Sicher nicht. Das ist ja Ihr erstes Mal und so.«
    Sie saß ganz still, atmete kaum und versuchte verzweifelt, sich an Margred in ihrem nassen

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