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Meereskuss

Meereskuss

Titel: Meereskuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Virginia Kantra
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Geräusch. Hinter ihm erblickte Lucy weitere hohe, gewölbte Mauern und ein großes, eisenbeschlagenes Tor, das offen stand. Die Halle?
    Sie sah die beiden Jungen an. »Und jetzt?«
    Sie wechselten Blicke. »Das wissen Sie nicht?«
    Sie fühlte sich wie eine Referendarin an ihrem ersten Schultag. Kein gutes Gefühl. »Na ja, er wird zu Conn und den anderen Wächtern gehen, okay? Und dann treffen sie diesen … Dämon.«
    Iestyn nickte. »Gau.«
    »Wissen Sie, warum sie sich treffen?«, fragte Roth.
    Sie hatte keine Ahnung. Sie schüttelte den Kopf.
    Er sah finster drein. »Wir dachten, Sie wüssten es.«
    Iestyn erhob sich vom Rasen.
    »Was hast du vor? Was willst du tun?«, fragte Lucy.
    »Einen Blick auf sie werfen.«
    Sie war nicht ihre Lehrerin. Sie hatte keinerlei Befehlsbefugnis ihnen gegenüber. Aber die brauchte sie auch nicht, um zu wissen, dass das eine schlechte Idee war – etwa so schlecht, wie in einem Haus mit einem Serienkiller eingesperrt zu sein und allein loszuziehen, um einem Geräusch im Keller auf den Grund zu gehen.
    »Griff hat doch gesagt, dass ihr der Halle fernbleiben sollt.«
    »Er hat gesagt, dass er uns dort nicht sehen will«, korrigierte Roth.
    »Und er wird uns auch nicht sehen. Vom Wachturm aus werden wir einen guten Blick haben«, fügte Iestyn hinzu.
    Beide wandten sich ihr mit dem gleichen Lächeln erfreuter Aufforderung zu.
»Sie sind älter, als sie aussehen«,
hatte Conn gesagt. Sie waren Selkies. Vielleicht wussten sie ja, was sie taten.
    Trotzdem wirkten sie wie zwei Zehnjährige auf World’s End, die vorhatten, von den Felsen in den Baggersee zu springen.
    Sie beobachtete, wie sie die baufällige, enge Treppe zum Wehrgang erklommen. Sie waren erst auf halbem Wege oben, als das Schloss wie ein Pferd erschauerte, das von Fliegen gepeinigt wird. Lucys Herz schlug einen Purzelbaum. Die Vibration stieg von dem Kopfsteinpflaster unter ihren Füßen auf und hallte in ihren Knochen wider. Madadh drückte sich mit drohend gereckten Schultern an ihr Bein.
    Sie tätschelte den Hund mit ihrer zitternden Hand und ließ sich von seinem warmen, drahtigen Fell trösten. »Was war das?«
    Iestyn drehte sich mit bleichem Gesicht und aufgeregt leuchtenden Augen um. »Die Dämonen sind angekommen. In den Höhlen unter dem Schloss.«
    Roth rief herunter: »Beeilen Sie sich, oder wir verpassen sie.«
     
    Von seinem Hochsitz auf dem Podest sah Conn zu, wie die Gesandtschaft aus der Hölle, eskortiert von einem ernsten Morgan und den nördlichen Wächtern, durch die große Halle auf ihn zukam. Das Finnvolk glänzte in Silber und Schwarz. Die Kinder des Feuers trieben wie Rauchsäulen heran, abwechselnd transparent und dann wieder undurchsichtig, während sich ihre Zahl und ihre Gesichter unablässig änderten. In den Schatten der Halle leuchteten ihre Augen wie glühende Kohlen.
    Der Dämonlord Gau war der feste Mittelpunkt seines Gefolges. Da es ihm an eigener Materie gebrach, bediente er sich wechselnder Illusionen, je nach Laune des Augenblicks, krümmte Licht und färbte winzige Teilchen von Erde, Wasser und Luft ein, um sich die Gestalt und Würde eines Diplomaten zu verleihen. Heute hatte er einem Anflug von Humor oder vielleicht auch nur einem Hang zum dramatischen Auftritt nachgegeben und das adlernasige Gesicht, die fließende Toga und den Lorbeerkranz eines alten Römers gewählt.
Vergil,
dachte Conn. Dantes Führer durch das
Inferno
, die Hölle. Der weise ältere Dichter, der tugendhafte Heide.
    Gau wusste sich für Fehldeutungen zu begeistern. Selbst sein Name bedeutete »Lüge«.
    Gau blieb vor dem Podest stehen, im Zentrum aller Blicke. »Lord Conn.«
    Conn neigte den Kopf ein winziges bisschen. Er stand nicht auf. »Lord Gau. Ihr seid einen weiten Weg aus der Hölle gekommen, um uns Schwierigkeiten zu bereiten.«
    Der Dämon lächelte, wobei er nur andeutungsweise die Zähne entblößte. »Die Hölle ist überall, mein Lord. Es ist nur eine Frage der Sichtweise.«
    Conn hob die Augenbrauen. »Ihr seid hier, um philosophische Betrachtungen anzustellen.«
    »Ich komme, um Euch meinen Respekt zu erweisen«, erwiderte Gau. »Und um die lange Geschichte, die wir miteinander teilen, zu würdigen.«
    »Ich kann keinen Respekt in Euren jüngsten Übergriffen gegen unser Volk erkennen«, gab Conn kalt zurück.
    »Mein Prinz, wir sind nicht Eure Feinde. Jahrhundertelang haben die Kinder des Feuers voller Anteilnahme zugesehen, wie eure Zahl, eure Kraft und euer Hoheitsgebiet schwanden,

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