Meeresrauschen
Gesellschaft.
Hättest du nicht,
entgegnete Gordy.
Jedenfalls nicht, solange du
keine Selbstgespräche führst. Und wir sollten uns besser auch nur über
die absolut notwendigsten Dinge austauschen,
ermahnte er mich.
Zumindest solange wir uns im Meer aufhalten.
Schwimmen wir etwa die ganze Strecke an einem Stück?,
fragte ich
und zog einen kräftigen Schwall Wasser durch meine Lungen.
Die lange Reise von Lübeck nach Herm und der Kampf mit
Kyan und den Haien hatten mich müde gemacht. Mein Kopf
fühlte sich schwer an, meine Schwanzflosse bewegte sich von
Minute zu Minute langsamer und kraftloser, und allmählich
begannen Zweifel an mir zu nagen, ob ich den weiten Weg bis
Madeira, geschweige denn bis zu den Kapverden tatsächlich
bewältigen konnte. Trotzdem bemühte ich mich, weiter das
recht hohe Tempo zu halten, und kämpfte tapfer gegen das
flaue Gefühl in meiner Magengrube und die Schwere in meinen
Gliedern an.
Das Meer um uns herum wurde immer stiller und dunkler
und plötzlich glitt Gordy an meine Seite und legte seinen Arm
um mich.
Du bist müde.
Ja,
sagte ich und schmiegte mein Gesicht erschöpft in seine
Halsbeuge.
Dann ruh dich eine Weile aus.
Sein Griff wurde fester und er
drückte sogar einen flüchtigen Kuss in mein Haar.
Ich halte
dich.
Es war einfach wunderbar, endlich wieder seine vertraute
Wärme zu spüren. Ein stilles Glück durchströmte mein Herz
und im nächsten Moment war ich bereits von einer tiefen
Ruhe umfangen.
Als ich die Augen aufschlug, sah ich die Sterne funkeln. Am
nachtblauen Himmel, direkt über einem hellen Streifen am
Horizont, stand die schmale Mondsichel, so zart und durchscheinend,
als wäre sie aus Spitzenstoff.
Mit einem Ruck setzte ich mich auf und stellte fest, dass ich
mich auf einem schmalen Sandstrand befand. Rund um mich
herum ragten schroffe, von unzähligen hellen Vogelkörpern
besetzte Felsen auf.
Gordian konnte ich nirgends entdecken, und schon bereute
ich es, dass ich mich in seinen Armen so vertrauensselig dem
Schlaf überlassen hatte.
Es war das einzig Richtige,
hörte ich ihn antworten und einen
Atemzug später glitt er unmittelbar vor mir aus dem Wasser.
Er schlang sich die Delfinhaut um, machte einen Schritt auf
mich zu und hielt mir zwei Sprotten entgegen.
Jetzt musst du nur
noch etwas essen.
»Nein, jetzt möchte ich endlich erfahren, warum du nach
Lübeck gekommen bist«, erwiderte ich.
Gordy seufzte leise, und als ich keine Anstalten machte, ihm
die Fische abzunehmen, legte er sie vor meine Füße und ließ
sich neben mich in den feuchten Sand fallen. Es dauerte eine
Ewigkeit, bis er zu reden begann.
»Ich wollte es nicht«, sagte er schließlich. »Nachdem wir …
also, nach dieser Sache zwischen uns war ich fest entschlossen,
den Ärmelkanal für immer zu verlassen.«
Warum?
Weil ich dir nie wieder wehtun wollte.
Gordian hatte die Beine angewinkelt und starrte angespannt
aufs Meer hinaus. Die Ellenbogen ruhten auf seinen Knien,
und er rieb nervös mit den Fingern der einen Hand über die
Knöchel seiner anderen, die er fest zur Faust geballt hatte.
»Es hat mich innerlich fast zerrissen, als ich mir eingestehen
musste, dass ich nicht besser bin als Kyan«, presste er voller Bitterkeit
hervor. »Ich war genauso süchtig nach dir wie er nach
Lauren oder einem der anderen Mädchen.«
Ich schüttelte den Kopf. Wieder und wieder, weil ich einfach
nicht fassen wollte, wie er so etwas denken konnte. »Du
hast mich nicht getötet. Du hast nicht mal mit mir geschlafen!
«
»Ich wollte es … Aber das ist ja wohl gründlich danebengegangen.
«
»Es ist nicht allein deine Schuld gewesen.«
»Mag sein«, sagte er leise.
»Ich habe dich auch nicht getötet«, wisperte ich. »Obwohl
ich damals einen ganz starken Impuls verspürt habe, es zu
tun.«
Gordy nickte.
Ich auch. Das ist es ja, was mich so erschreckt hat.
»Ich glaube, das muss es nicht«, sagte ich. »Mittlerweile bin ich sogar überzeugt davon, dass es wichtig für uns war, diese
Erfahrung zu machen. Verstehst du, bevor es passiert ist, war
ich felsenfest davon überzeugt, dass du mir nicht gefährlich
werden könntest. Inzwischen verstehe ich dich und deine Zurückhaltung,
deine ständigen Bedenken und deine Angst viel
besser.«
Gordian rieb sich über die Augen und wandte sich mir dann
mit ernster Meine zu.
Und wenn es wieder passiert?
»Tut es nicht.«
»Was macht dich so sicher?«
Ich weiß es einfach …,
sagte ich leise.
Mein Herz hat es mir zugeflüstert.
Gordy schwieg,
Weitere Kostenlose Bücher