Meerjungfrau
die Farbe nicht ab. Wir müssen Terpentin nehmen.« Er hielt ihr die Flasche vor die Augen. Sie hielt inne und starrte ihn an. Gösta nahm ein Handtuch vom Haken neben dem Waschbecken und benetzte es mit der Flüssigkeit. Sanna beobachtete ihn. Er hielt das Handtuch hoch, um es ihr zu zeigen, und packte den älteren Jungen am Arm. Da die beiden momentan nicht zu beruhigen waren, musste er sich beeilen.
»Passen Sie auf, jetzt geht die Farbe ab.« Obwohl der Junge sich wand wie ein Aal, kam Gösta gut voran. »Sie werden sehen, wir kriegen sie wieder sauber.«
Er merkte selbst, dass er mit Sanna wie mit einem Kind sprach, aber es schien zu funktionieren, denn sie kehrte allmählich in die Wirklichkeit zurück.
»Jetzt ist er fertig.« Er legte das Handtuch mit dem Terpentin weg und brauste den Jungen ab. Als er das Kind aus der Badewanne hob, strampelte es wie wild, aber Sanna reagierte sofort und wickelte es in einen Bademantel. Sie zog es auf ihren Schoà und wiegte es an ihrer Brust.
»So, mein Kleiner, nun bist du an der Reihe.«
Der jüngere Bruder schien zu begreifen, dass er aus der Badewanne und auf Mamas Schoà durfte, wenn er sich von dem Polizisten saubermachen lieÃ. Er hörte auf zu schreien und saà ganz still, während Gösta noch mehr Terpentin auf das Handtuch goss und ihn damit abrieb. Ein Weilchen später wurde auch er von Kopf bis Fuà in ein groÃes Badelaken gewickelt und von Sanna in die Arme geschlossen.
Gösta hörte Stimmen, zuerst unten, dann auf der Treppe. Kurz darauf stand Patrik in der Tür.
»Was ist passiert?«, fragte er atemlos. »Alles in Ordnung? Martin sagt, die Kinder scheinen unverletzt zu sein.« Patriks Blick blieb an der Badewanne hängen, die mit rosafarbenem Wasser gefüllt war.
»Den Kindern geht es gut. Sie haben lediglich einen kleinen Schock. Genau wie ihre Eltern.« Gösta erhob sich und ging zu Patrik in den Flur. Er berichtete kurz, was passiert war.
»Das ist doch nicht mehr normal? Wer macht so was?«
»Das haben Martin und ich auch gesagt. Um es vorsichtig auszudrücken: Irgendwas stimmt hier nicht. Ich glaube, Christian weià mehr, als er zugibt.« Er wiederholte, was Christian gemurmelt hatte.
»Sieht ganz so aus. Wo ist er jetzt?«
»Im Schlafzimmer. Sehen wir mal, ob man mit ihm sprechen kann.«
»Das sollten wir unbedingt tun.«
Patriks Mobiltelefon klingelte. Er zog es aus der Tasche und meldete sich. Dann zuckte er zusammen.
»Was sagst du? Kannst du das bitte wiederholen?« Bestürzt sah er Gösta an, der vergeblich zu verstehen versuchte, was die Person am anderen Ende der Leitung sagte. »Okay, verstanden. Wir sind bei Thydell, hier ist auch etwas passiert, aber das haben wir im Griff.«
Er machte das Handy aus.
»Kenneth Bengtsson wird gerade nach Uddevalla ins Krankenhaus gebracht. Auf der Laufstrecke, wo er jeden Morgen joggt, hat ihm jemand eine Falle gebaut. Quer über den Weg war eine Schnur gespannt. Er ist darüber gestolpert und in ein Bett aus Glasscherben gestürzt.«
»Herrgott noch mal«, flüsterte Gösta und sagte zum zweiten Mal an diesem Vormittag: »Was geht hier eigentlich vor?«
Erik starrte auf sein Handy. Kenneth war auf dem Weg ins Krankenhaus. Pflichtbewusst wie immer hatte er die Sanitäter offenbar gebeten, ihm mitzuteilen, dass er heute nicht zur Arbeit erscheinen konnte.
Jemand hatte ihm auf seiner Laufstrecke eine Falle gestellt. Erik zog gar nicht erst in Betracht, ob es sich eventuell um einen Irrtum oder einen Scherz handelte, der übers Ziel hinausgeschossen war. Kenneth lief jeden Morgen diese Runde. Jeden Morgen exakt dieselbe Strecke. Das wusste jeder hier. Es bestand also kein Zweifel, dass es jemand auf Kenneth abgesehen hatte. Und das bedeutete, dass dieser Jemand auch ihm Schaden zufügen wollte.
Langsam wurde ihm die Sache zu heiÃ. In den vergangenen Jahren war er viele Risiken eingegangen und hatte vielen Menschen auf die FüÃe getreten, aber das hier und die Angst, die er jetzt empfand, hätte er sich nie vorstellen können.
Er wandte sich wieder dem Bildschirm zu und loggte sich beim Onlinebanking ein. Er musste wissen, welche Möglichkeiten er hatte. Obwohl ihm der Kopf schwirrte, versuchte er, sich auf die Beträge auf den Konten zu konzentrieren und seine Angst zu kanalisieren, um einen Plan zu finden, einen Fluchtweg. Einen
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