Meerjungfrau
wieder strahlend die beiden Zähne in seinem Unterkiefer entblöÃte. Ernst hatte heute ausnahmsweise in der Dienststelle bleiben müssen. Ansonsten lief er immer brav neben dem Wagen her und passte auf, dass niemand der Person ein Haar krümmte, die nun auch den Mittelpunkt seines Lebens bildete. Für Mellberg war es definitiv so.
Mellberg hätte nie gedacht, dass man für einen anderen Menschen solche Gefühle entwickeln konnte. Seitdem er die Geburt miterlebt hatte, Leo als Erster im Arm gehabt hatte, hielt der sein Herz gefangen. Leos GroÃmutter hatte ihn zwar auch ganz gut im Griff, aber auf der Liste mit den wichtigsten Leuten in seinem Leben stand der kleine Kerl an erster Stelle.
Widerwillig machte sich Mellberg auf den Rückweg zur Dienststelle. Eigentlich hätte Paula sich mittags um Leo kümmern sollen, während ihre Lebensgefährtin Johanna einige Besorgungen machte, doch Paula war zu einer Frau gerufen worden, deren Exmann ihr die Seele aus dem Leib prügelte, und so hatte sich Mellberg zu einem Spaziergang mit dem Kleinen bereit erklärt. Nun hatte er keine Lust, ihn wieder abzugeben. Mellberg beneidete Paula zutiefst um den Erziehungsurlaub, den sie bald antreten würde. Auch er wäre liebend gern ein bisschen kürzergetreten, um mehr Zeit mit Leo zu verbringen. Eine groÃartige Idee vielleicht! Sollte er als guter Chef seinen Untergebenen nicht die Möglichkeit bieten, sich weiterzuentwickeln? AuÃerdem benötigte Leo von Anfang an ein starkes männliches Vorbild. Mit zwei Müttern und keinem Vater weit und breit musste besonders auf das Kindeswohl geachtet werden. Der Junge brauchte jemanden, von dem er sich etwas abschauen konnte. Zum Beispiel so einen Prachtkerl wie ihn.
Er stieà die schwere Eingangstür der Dienststelle mit der Hüfte auf und zog den Wagen hinter sich her. Annika strahlte, als sie das Gespann erblickte. Mellberg platzte fast vor Stolz.
»Haben wir einen schönen Spaziergang gemacht?« Annika stand auf, um Mellberg mit dem Kinderwagen zu helfen.
»Die Mädels brauchten meine Unterstützung.« Behutsam zog Mellberg dem Jungen die Jacke aus. Annika sah ihm amüsiert dabei zu. Es geschahen wirklich noch Zeichen und Wunder.
»Komm, mein Kleiner, wir schauen mal nach, ob Mama da ist«, brummelte Mellberg, während er Leo aus dem Wagen hob.
»Paula ist noch nicht zurück.« Annika setzte sich wieder an ihren Schreibtisch.
»Das ist aber schade, dann musst du noch ein Weilchen mit deinem alten Opa vorliebnehmen.« Fröhlich steuerte Mellberg mit Leo auf dem Arm die Küche an. Bei seinem Einzug vor einigen Monaten bei Rita waren die jungen Frauen auf die Idee gekommen, ihn Opa Bertil zu nennen. Nun nutzte er jede Gelegenheit, das Wort zu gebrauchen, sich daran zu gewöhnen und darüber zu freuen. Opa Bertil.
Ludvig hatte Geburtstag. Cia bemühte sich, so zu feiern wie immer. Dreizehn Jahre. Unglaublich viel Zeit war vergangen, seit sie im KreiÃsaal über die geradezu absurde Ãhnlichkeit zwischen Vater und Sohn gelacht hatte. Mit den Jahren waren sie sich noch ähnlicher geworden. An ihren schwärzesten Tagen konnte sie Ludvig kaum ansehen. Die braunen Augen mit dem Grünstich und die blonden Haare, die schon zu Beginn des Sommers fast weià wirkten. Auch Ludvigs Körper und seine Bewegungen glichen denen des Vaters. Er war lang und schlaksig, und wenn er sie umarmte, fühlten sich seine Arme an wie die von Magnus. Sogar ihre Hände sahen gleich aus.
Mit zitternden Fingern schrieb Cia seinen Namen auf die Marzipantorte. Auch das hatten sie gemeinsam. Magnus konnte eine ganze Torte allein aufessen, ohne dass man es ihm ansah. Das war ungerecht. Sie selbst brauchte eine Zimtschnecke nur anzuschauen und hatte schon ein Pfund zugenommen. Nun war sie so schlank, wie sie es sich immer erträumt hatte. Seit Magnus verschwunden war, nahm sie rasend schnell ab. Jeder Bissen blieb ihr im Halse stecken, und der Stein, der ihr vom Aufwachen bis in die Nacht, wenn sie in einen unruhigen Schlaf fiel, im Magen lag, lieà kaum Platz für etwas anderes. Trotzdem war es ihr völlig egal, wie sie aussah, sie schaute sowieso kaum noch in den Spiegel. Was spielte das ohne Magnus für eine Rolle?
Manchmal wünschte sie, er wäre vor ihren Augen gestorben. Hätte einen Herzinfarkt gehabt oder wäre von einem Auto überfahren worden. Hauptsache, sie hätte
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