Meerjungfrau
Einige Autoren können es sich erlauben, ein Eremitendasein zu führen und sich von allem abzuschirmen, das ihrer Ansicht nach unter ihrer Würde liegt. Aber mit einem solchen Verhalten kommen nur die durch, die bereits etabliert sind und einen groÃen Leserkreis haben. So weit ist Christian noch lange nicht. Vielleicht schafft er es, aber eine Autorenkarriere baut man nicht über Nacht auf, und angesichts des grandiosen Starts seiner Meerjungfrau ist er sich und seinem Verlag schuldig, gewisse Opfer zu bringen.« Gaby machte eine Pause und durchbohrte Erica fast mit ihrem Blick. »Ich hatte gehofft, du könntest ihm das erklären.«
»Ich?« Erica wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war kein bisschen davon überzeugt, dass ausgerechnet sie Christian überreden konnte, sich wieder hinaus ins Rampenlicht zu stürzen. SchlieÃlich hatte sie die Meute angelockt.
»Ich weià nicht, ob das eine â¦Â« Sie suchte nach einer diplomatischen Formulierung, aber Gaby fiel ihr ins Wort.
»Prima, dann sind wir uns ja einig. Du triffst dich mit ihm und machst ihm klar, was wir von ihm erwarten.«
»Was �« Erica blickte Gaby an und fragte sich, wie man ihren letzten Satz als Zustimmung interpretieren konnte, aber Gaby stand bereits auf. Sie strich ihren Rock glatt und hängte sich die Tasche über die Schulter.
»Danke für den Kaffee und das Plauderstündchen. Schön, dass wir uns so gut verstehen.« Sie beugte sich vor, hauchte Erica ein Küsschen auf jede Wange und stolzierte zur Haustür. »Mach dir keine Umstände, ich finde den Weg allein«, rief sie. »Machâs gut!«
»Du auch.« Erica winkte ihr müde hinterher. Nun fühlte sie sich nicht nur überfahren, sondern hatte regelrecht den Eindruck, übers Ohr gehauen worden zu sein.
Patrik und Gösta saÃen im Auto. Seit dem Gespräch waren erst fünf Minuten vergangen. Anfangs hatte Kenneth Bengtsson kaum ein Wort herausbekommen, aber nach einer Weile konnte Patrik verstehen, was er sagte. Seine Frau war ermordet worden.
»Was zum Teufel ist hier eigentlich los?« Gösta schüttelte den Kopf und hielt wie immer, wenn Patrik am Steuer saÃ, fest den Haltegriff umklammert. »Musst du in den Kurven so viel Gas geben? Ich sterbe tausend Tode.«
»Entschuldigung.« Patrik fuhr etwas langsamer, aber nach kurzer Zeit wurde der Fuà auf dem Gaspedal wieder schwerer. »Was hier los ist? Tja, das frage ich mich auch«, brummte er verbissen und warf einen Blick in den Rückspiegel, um sich zu vergewissern, dass Paula und Martin nicht abgehängt wurden.
»Was hat er gesagt? Hatte sie ebenfalls Schnittwunden?«, fragte Gösta.
»Viel Sinnvolles habe ich nicht aus ihm herausbekommen. Anscheinend steht er unter Schock. Er sagte nur, er sei nach Hause gekommen und habe seine Ehefrau ermordet aufgefunden.«
»Soweit ich weiÃ, hatte sie ohnehin nicht mehr lange zu leben«, sagte Gösta. Er verabscheute alles, was mit Krankheit und Tod zusammenhing, und hatte lange Zeit in seinem Leben damit gerechnet, plötzlich von einer unheilbaren Krankheit befallen zu werden. Vorher wollte er aber noch so viele Golfrunden wie möglich spielen. Im Moment schien sich allerdings Patrik in einem viel schlechteren Zustand zu befinden als er.
»Ãbrigens siehst du nicht so aus, als ob es dir richtig gutginge.«
»Du weiÃt nicht, wovon du redest«, antwortete Patrik gereizt. »Wenn du wüsstest, wie schwer es ist, Arbeit und Kleinkinder unter einen Hut zu bringen. Man kommt einfach nicht nach, kann nie richtig ausschlafen.« Kaum waren sie aus seinem Mund gesprudelt, bereute Patrik seine Worte. Er wusste, Göstas gröÃter Schmerz war der kleine Junge, der kurz nach der Geburt gestorben war.
»Entschuldige, das war blöd von mir«, murmelte er. Gösta nickte.
»Kein Problem.«
Sie schwiegen eine Weile und hörten nur die Reifen, während sie über die LandstraÃe in Richtung Fjällbacka fuhren.
»Das mit Annika und der Kleinen freut mich.« Endlich wurden Göstas Züge weicher.
»Aber es ist eine lange Wartezeit«, erwiderte Patrik froh über den Themenwechsel.
»Ich habe auch nicht gewusst, dass es so viel Zeit in Anspruch nimmt. Das Kind ist doch da. Wo liegt eigentlich das Problem?« Gösta war fast genauso ungeduldig wie Annika und ihr Mann
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