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Meerjungfrau

Meerjungfrau

Titel: Meerjungfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Läckberg
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schön.
    Leise ging er in den Raum und konnte dem Wunsch nicht widerstehen, sie zu berühren. Da überkam ihn das Gefühl, dass etwas nicht stimmte. Obwohl sie aussah wie immer, wenn sie schlief. Plötzlich begriff er, was anders war. Es war so still. Kein Laut war zu hören. Nicht einmal ein Atemzug.
    Kenneth stürzte zu ihr. Er legte zwei Finger zuerst an ihren Hals, dann an ihr Handgelenk, tastete wieder und wieder und hoffte inständig, das Klopfen des Lebens zu finden. Doch seine Mühen waren vergebens, er spürte nichts. Im Zimmer herrschte Stille – und in ihrem Körper. Sie hatte ihn verlassen.
    Er hörte ein schluchzendes Geräusch, wie von einem Tier. Einen kehligen, verzweifelten Laut. Begriff dann, dass er selbst diesen Ton von sich gegeben hatte. Er setzte sich auf die Bettkante und hob ihren Oberkörper hoch, ganz behutsam, als könne sie noch immer Schmerzen empfinden.
    Schwer ruhte ihr Kopf auf seinem Schoß. Er strich ihr über die Wangen und fing wieder an zu weinen. Die Trauer traf ihn mit einer Wucht, die alles bisher Erlebte und alles, was er über Trauer wusste, wegwischte. Es war ein physischer Schmerz, der sich durch den ganzen Körper fortpflanzte und jeden Nervenstrang traf. Er brüllte laut vor Qual. Der Schrei hallte in dem kleinen Raum wider, prallte gegen die geblümte Tagesdecke und wurde von der verblassten Tapete zu ihm zurückgeworfen.
    Ihre Hände waren über der Brust gefaltet. Vorsichtig wand er die Finger auseinander. Ein letztes Mal wollte er ihre Hand halten. Er fühlte die raue Haut. Durch die Behandlungen hatte sie ihre Zartheit verloren, aber vertraut war sie ihm noch immer.
    Er zog ihre Hand an den Mund. Presste die Lippen darauf, und während seine Tränen auf ihrer beider Hände fielen, fügte er sie zusammen. Er schloss die Augen. Der salzige Geschmack seiner Tränen vermischte sich mit Lisbets Geruch. Am liebsten wäre er immer so sitzen geblieben und hätte niemals losgelassen. Aber er wusste, dass das unmöglich war. Lisbet gehörte nicht mehr zu ihm, nicht mehr hierher, er musste sie gehenlassen. Sie hatte keine Schmerzen mehr, nichts tat ihr mehr weh. Der Krebs hatte gewonnen und doch verloren, denn er war mit ihr gestorben.
    Vorsichtig legte Kenneth Lisbets Hand neben ihren Körper. Auch die rechte Hand, die immer noch mit der anderen verschlungen zu sein schien, legte er an ihre Seite.
    Mitten in der Bewegung hielt er inne. In ihrer Hand befand sich etwas, etwas Weißes. Sein Herz pochte heftig. Er wollte die Hände wieder falten, damit er nicht sah, was sich darin verbarg, aber das konnte er nicht. Mit zitternden Fingern öffnete er ihre rechte Hand, aus der ein weißes Blatt auf die Bettdecke fiel. Es war zusammengefaltet und gab seine Botschaft noch nicht preis, aber er war sich sicher. Er spürte die Anwesenheit des Bösen.
    Kenneth streckte die Hand nach dem Zettel aus und las nach kurzem Zögern.
    Anna hatte sich gerade verabschiedet, als es an der Tür klingelte. Im ersten Moment dachte Erica, ihre Schwester habe etwas vergessen, aber Anna pflegte nicht höflich an der Tür zu warten, bis sie hereingebeten wurde, sondern marschierte geradewegs in Haus.
    Erica stellte die Tassen ab, die sie wegräumen wollte, und ging zu Tür.
    Â»Was machst du denn hier, Gaby?« Sie machte einen Schritt zur Seite, um die Verlegerin hereinzulassen, die sich an diesem Tag mit einem Mantel in kräftigem Türkis und riesigen goldenen Ohrringen von der winterlich grauen Umgebung abhob.
    Â»Ich hatte eine Besprechung in Göteborg, und da dachte ich, ich könnte doch auf einen Sprung vorbeikommen, um ein bisschen mit dir zu plaudern.«
    Vorbeikommen? Allein für eine Strecke brauchte man anderthalb Stunden, und sie hatte nicht einmal angerufen und gefragt, ob Erica zu Hause war. Sie musste etwas Dringendes auf dem Herzen haben.
    Â»Ich würde gern mit dir über Christian sprechen«, beantwortete Gaby die unausgesprochene Frage und rauschte an Erica vorbei durch den Flur. »Hast du einen Kaffee für mich?«
    Â»Ã„h, natürlich.«
    Wie üblich fühlte sie sich von Gaby überfahren, die sich nicht die Mühe machte, die Stiefel auszuziehen. Sie streifte sie nur kurz an der Matte ab, bevor sie mit ihren spitzen Absätzen den empfindlichen Holzfußboden betrat. Erica warf einen besorgten Blick auf die schönen, abgeschliffenen und

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