Meerjungfrau
denn.« Patrik umfasste seinen Ellbogen und führte ihn zum Wagen. Er öffnete die Beifahrertür und trat zu Martin und Paula, um ihnen einige Anweisungen zu geben. Bevor er Gösta mit einem Nicken bedeutete mitzukommen, holte er Kenneth eine Jacke. Die Spurensicherung war unterwegs. Patrik hoffte, dass er zurück sein würde, ehe die Kriminaltechniker hier fertig waren. Ansonsten mussten sie sich später unterhalten. Die Sache konnte einfach nicht länger warten.
Als sie aus der Einfahrt fuhren, warf Kenneth einen langen Blick zurück. Seine Lippen schienen ein stummes Lebwohl zu formen.
Eigentlich hatte sich nichts verändert, es war die gleiche Leere wie vorher. Der einzige Unterschied bestand darin, dass es nun eine Leiche gab, die sie beerdigen mussten, und dass das letzte bisschen Hoffnung erloschen war. Ihre Vorahnungen hatten sich als richtig erwiesen, aber wie inständig hatte sie gehofft, sich zu täuschen.
Wie sollte sie ohne Magnus leben? Wie konnte ein Leben ohne ihn überhaupt aussehen? Es war so unfassbar, dass ihr Mann, der Vater ihrer Kinder, auf dem Friedhof in einem Grab lag. Magnus war doch immer so lebendig gewesen, hatte das Leben in vollen Zügen genossen und dafür gesorgt, dass die Menschen um ihn herum es auch taten. Natürlich hatte sie sich manchmal über ihn geärgert, und hin und wieder waren ihr seine Sorglosigkeit und die ständigen Scherze auf die Nerven gegangen. Es hatte sie zur WeiÃglut getrieben, wenn sie etwas Ernstes mit ihm besprechen wollte und er herumalberte, bis sie einfach lachen musste, obwohl sie es gar nicht wollte. Trotzdem hätte sie nichts an ihm ändern wollen.
Was hätte sie für eine einzige Stunde mit ihm nicht alles getan? Oder für eine halbe Stunde, eine Minute. Sie waren doch noch nicht fertig, ihr gemeinsames Leben hatte gerade erst begonnen. Von der Reise, die sie gemeinsam geplant hatten, durften sie nur einen kleinen Abschnitt erleben. Die schwindelerregende Begegnung mit neunzehn. Die Verliebtheit in den ersten Jahren. Magnusâ Heiratsantrag und die Hochzeit in der Kirche von Fjällbacka. Die Kinder. Die Nächte voller Geschrei, in denen sie abwechselnd schliefen. All die Stunden, in denen sie mit Elin und Ludvig spielten und lachten. Die Nächte, in denen sie sich liebten oder einfach nur Hand in Hand einschliefen. Und die letzten Jahre, in denen die Kinder allmählich groà wurden und sie sich neu kennenlernten.
So vieles war noch offen, der Weg, der vor ihnen lag, war ihnen so lang und erlebnisreich erschienen. Magnus hatte sich darauf gefreut, die ersten Verehrer und Verehrerinnen der Kinder zu necken, die ihnen unbeholfen, schüchtern und stotternd vorgestellt würden. Sie würden Elin und Ludvig helfen, wenn sie ihre erste eigene Wohnung bezogen, wollten Möbel schleppen, Wände streichen und Gardinen nähen. Magnus würde auf ihren Hochzeiten eine Rede halten. Er würde viel zu lange und zu gefühlvoll sprechen und zu viele Details aus ihrer Kindheit verraten. Sie hatten sogar schon von Enkelkindern geträumt, obwohl es bis dahin noch lange dauern würde. Aber auch sie lagen verheiÃungsvoll und glänzend wie ein Diamant am Weg. Sie würden die besten GroÃeltern der Welt werden. Immer für die Enkel da sein und sie schamlos verwöhnen. Würden sie vor dem Mittagessen mit Keksen füttern und ihnen viel zu viele Spielsachen kaufen. Vor allem würden sie ihnen Zeit schenken, alle Zeit der Welt.
All das war nun vorbei. Ihre Träume würden niemals Wirklichkeit werden. Plötzlich spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter. Sie hörte seine Stimme, aber sie war der von Magnus so unerträglich ähnlich, dass sie sich weigerte hinzuhören. Nach einer Weile verstummte die Stimme, und die Hand wurde weggezogen. Vor sich sah sie den Weg im Sand verlaufen, als hätte es ihn nie gegeben.
Das letzte Stück bis zu Christians Haus erschien ihr wie ein Martyrium. Sie hatte in der Bibliothek angerufen und nach ihm gefragt, aber die Auskunft erhalten, er sei nach Hause gegangen. Also hatte sie sich hinters Lenkrad geklemmt und war hingefahren. Sie war noch immer nicht sicher, ob es eine gute Idee war, Gabys Aufforderung zu befolgen. Andererseits wusste sie nicht, wie sie aus dieser vertrackten Lage wieder herauskommen sollte. Ein Nein akzeptierte Gaby nicht.
»Was willst du?«, fragte Sanna, als sie die Tür öffnete. Sie sah
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