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Mehr als nur ein Zeuge

Mehr als nur ein Zeuge

Titel: Mehr als nur ein Zeuge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Keren David
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schlürfe meinen Schoko-Shake, wobei ich mir überlege, dass es viel wahrscheinlicher ist, dass ich mich beim Sprechen verplappere. Oder dass ich nicht auf meinen neuen Namen reagiere. Wie soll ich mir bitte schön merken, dass ich von nun an Joe heiße?
    Doug schärft uns ein, wie wichtig es ist, dass wir so anonym wie möglich bleiben, dass wir uns nicht zu viele |23| neue Freunde zulegen, dass wir niemals nach London telefonieren und niemandem unsere Adresse geben. »Am besten auch niemanden nach Hause einladen«, sagt er abschließend. Hin und wieder dürfen wir Gran oder meine Tanten anrufen oder ihnen einen Brief schreiben, alle sechs Wochen oder so.
    »Im Gefängnis hätten wir mehr Rechte«, mault Nicki.
    »Und was ist mit unseren Handys?« Ich bin inzwischen beim Erdbeer-Shake angekommen und mir wird schon ganz komisch.
    Doug meint, dass er uns neue Handys besorgt. »Aber ich überprüfe die Abrechnungen. Keine Anrufe nach London, keine Anrufe bei Verwandten oder Freunden. Sonst kommen die Leute nur auf die Idee, untereinander zu quatschen.« Ein richtiges neues Leben ist das ja nicht gerade, was man da für uns vorgesehen hat. Das wird schwierig zu entscheiden, wem man was erzählen kann und was nicht. Wie soll man über alles lügen?
    Doug lässt uns an Gran schreiben. Ich kaue an meinem Kuli, mir fällt überhaupt nichts ein. »Du fehlst mir sehr, alles Liebe, Ty«, kritzele ich schließlich. »Kann ich Mr Patel schreiben und ihm sagen, dass mir das mit seinem Laden leidtut?«, frage ich, aber Doug lehnt ab.
    »Nein, das macht alles nur noch komplizierter.« Das finde ich zwar nicht, aber ich habe genug damit zu tun, keinen Erdbeer-Schoko-Shake über den Tisch zu reihern.
    »Und wann hat das alles ein Ende?«, will Nicki wissen. »Ich nehme doch an, dass wir nach der Verhandlung wieder nach Hause können.«
    |24| Doug sieht sie an wie eine Geisteskranke. Der Teil meines Gehirns, der mit Gefühlen zu tun hat, der Teil, der sich seit ein paar Wochen verabschiedet hat, ist auf einmal wieder da, und ich spüre so einen Wahnsinnshass in mir hochkochen   –
wie kann der Typ es wagen, meine Mutter so anzusehen?
–, dass ich mich an meinem Burger verschlucke. Als ich endlich zu husten aufhöre und Mum mir nicht mehr auf den Rücken schlägt und ein Stückchen Big Mac über den Tisch geflogen und auf Dougs Ärmel gelandet ist, haben wir alle kapiert, dass sie die verkehrte Frage gestellt hat.
    »Wir können nie wieder nach Hause, stimmt’s?«, fragt sie daraufhin, und ihre Stimme ist ganz matt und gar nicht mehr streitlustig.
    Doug wischt sich immer noch den Ärmel ab und sagt mit angeekelter Miene: »Das sehen wir, wenn’s so weit ist.«
     
    Einmal regnet es in Strömen, ich liege auf meinem Bett und schaue mir ein Fußballspiel aus prähistorischen Zeiten an. Nicki liest ein Buch für ihren Jurakurs an der Fernuni und sagt, ich soll den Ton ausstellen.
    »Ich weiß gar nicht, wieso du dich damit noch stresst«, erwidere ich. »Du hast schon so viele Klausuren verpasst, dass du sowieso durchfällst.«
    Sie verzieht das Gesicht.
    »Und ich wette, dass du auch sämtliche Scheine aus den letzten Semestern verlierst, weil du jetzt Michelle Andrews heißt und eine neue Adresse hast und so weiter.«
    |25| Ich weiß auch nicht, warum ich so gemein bin. Das Fernstudium ist ihr superwichtig. Sie hebt das Kinn und sagt drohend: »Halt einfach die Klappe, Ty, okay?«
    »Ich will bloß nicht, dass du deine Zeit verplemperst.«
    Als Nächstes fliegt das Buch durch die Luft. Ich ducke mich, verliere das Gleichgewicht, falle vom Bett und krache auf den Nachttisch, wobei ein Glas kaputtgeht und ich mir in die Hand schneide.
    »Aua!«, schreie ich. »Spinnst du?«
    »Ich hätte dich sowieso nicht getroffen«, faucht sie.
    Es klopft und Doug kommt rein.
    »Was ist denn hier los?«, fragt er und wir brummeln beide: »Nichts   …«
    Ich stehe auf, schiebe den Nachttisch wieder an Ort und Stelle und die Scherben unters Bett und nehme mir ein Papiertaschentuch, um das Blut aufzuwischen. Die Wunde sticht höllisch. Doug macht ein skeptisches Gesicht, tritt dann aber beiseite, um noch jemanden ins Zimmer zu lassen.
    »Das ist Maureen«, sagt er. Sie lächelt uns an, eine ältere Frau mit einem großen schwarzen Koffer.
    »Heute kriegen Sie ein neues Aussehen verpasst«, verkündet sie. »Wir müssen Sie so verändern, dass niemand Sie wiedererkennt.« Sie setzt hinzu: »Du hast dir inzwischen hoffentlich die Haare wachsen

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