Mehr als nur Traeume
Es dauerte ein paar Sekunden, ehe die Vermittlung im Hotel sie davon unterrichtete, daß Robert und seine Tochter vor einer Stunde ihr Hotelzimmer geräumt hätten.
Dougless sank gegen die Wand der Telefonzelle.
»Was war das?« fragte der Mann. »Habt Ihr mit diesem Ding gesprochen?«
»Lassen Sie mich einen Augenblick in Ruhe, ja?« schrie sie ihn förmlich an, ihre Wut an ihm auslassend. Sie riß den Hörer wieder vom Haken, ließ sich die Nummer des Hotels geben, das als nächstes auf dem Reiseplan stand, den sie für Robert aufgestellt hatte. Der Portier dieses Hotels informierte sie, daß Robert Whithley erst vor wenigen Minuten die Zimmerbestellung rückgängig gemacht habe.
Abermals lehnte sich Dougless gegen die Kabinenwand. Obwohl sie sich bemühte, keine Schwäche zu zeigen, traten ihr Tränen in die Augen. »Wo bleibt also mein Ritter in der schimmernden Rüstung?« flüsterte sie. Als sie diese Worte leise zu sich selbst sagte, blickte sie den Mann an, der neben ihr stand. Ein Strahl der verblassenden Nachmittagssonne fiel auf seinen Harnisch und ein Schatten über seine blauschwarzen Haare. Ein Edelstein in seinem Schwertgriff versprühte grünes Licht. Der Mann hatte plötzlich hinter ihr gestanden, als sie in der Kirche in ihrer Verzweiflung weinend um einen Ritter in schimmernder Rüstung gebeten hatte.
»Ihr habt schlechte Nachrichten erhalten?« fragte er.
Sie löste sich von der Zellenwand. »Es sieht so aus, als habe man mich verlassen«, sagte sie leise und blickte ihn an. Nein, das konnte nicht sein - und sie weigerte sich, die Möglichkeit auch nur in Betracht zu ziehen -, daß dieser Schauspieler, der glaubte auch das zu sein, was er darstellte, just in dem Moment erschienen war, wo sie um einen Mann in einer Rüstung gebeten hatte. Aber übte sie nicht immer wie ein Magnet eine Anziehungskraft auf seltsame Männer aus?
»Ich scheine ebenfalls alles verloren zu haben«, sagte er.
»Jemand in diesem Ort muß Sie doch kennen. Vielleicht fragen Sie mal im Postamt nach.«
»Postamt?«
Er sah so verloren aus, daß ein Mitgefühl für ihn sich in ihr regte. Nein, Dougless, nein, ermahnte sie sich. »Kommen Sie — ich bringe Sie zu dem Münzhändler, wo Sie Ihre Münzen eintauschen können.«
Sie gingen jetzt nebeneinander die Straße hinunter, und seine aufrechte, perfekte Haltung veranlaßte Dougless, ihre Schultern durchzudrücken. Von den Engländern, die sie passierten, gaffte nicht einer sie an (soweit Dougless das beurteilen konnte, starrten Engländer nur Leute an, die eine Sonnenbrille trugen); aber dann begegnete ihnen ein amerikanisches Touristenehepaar mit zwei Kindern. Die ganze Familie trug brandneue Kleider, die sie zweifellos »für den Urlaub aufgespart« hatte. Der Mann hatte zwei Kameras um den Hals hängen.
»Schau dir das an, Myrt«, sagte der Mann, und während die Erwachsenen Nicholas angafften wie ein Wundertier, zeigten die Kinder mit dem Finger auf ihn und lachten. »Ungezogenes Pack«, sagte Nicholas leise zu sich. »Jemand sollte ihnen beibringen, wie sie sich in Gegenwart ihrer Herrschaft zu benehmen haben.«
Danach entwickelten sich die Dinge sehr rasch. Ein Bus hielt auf der Straße, und heraus sprangen fünfzig Japaner mit klickenden Kameras. Nicholas zog sein Schwert und ging auf die Japaner zu. Die amerikanische Touristin schrie, die Japaner drängelten und schoben sich noch dichter heran, während ihre Kameras klickten und summten wie Zikaden an einem heißen Sommerabend.
Dougless tat das einzige, was ihres Wissens funktionierte: Sie warf sich gegen den Mann im Harnisch, wobei seine Schwertschneide den Ärmel ihrer Bluse zerschnitt und sie am Oberarm verletzte. Erschrocken über den jähen Schmerz, geriet Dougless ins Straucheln und wäre fast gestürzt, wenn der Ritter sie nicht aufgefangen, auf seine Arme genommen und auf den Bürgersteig zurückgetragen hätte. Hinter ihnen klickten noch immer die japanischen Kameras, und die Amerikaner klatschten Beifall.
»He, Daddy, das ist besser als Warwick Castle«, krähte eines von den beiden amerikanischen Kindern.
»Das steht aber nicht im Reiseführer, George«, sagte die amerikanische Frau zu ihrem Mann. »Ich meine, solche Sachen sollten im Reiseführer erwähnt werden, weil sonst jemand auf den Gedanken kommen könnte, das wäre echt«
Nicholas setzte die Frau auf dem Bürgersteig ab. Irgendwie - er wußte nicht, wie - hatte er sich vor diesen Leuten zum Narren gemacht. Durfte man in diesem
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