Mehr als nur Traeume
saßen, waren voneinander isoliert. Die Atmosphäre, die hier herrschte, war ganz und gar nicht zu vergleichen mit der lärmenden Geselligkeit der elizabethanischen Gäste.
An der Rückseite der Gaststätte war eine Tafel angebracht, auf der mit Kreide das Menü verzeichnet war. Sie bestellte ein Menü mit sechs Gängen und beachtete die Kellnerin nicht, die das Ganze mit hochgezogenen Brauen notierte. Sie suchte sich einen Tisch und nippte dann an dem Bier, das die Serviererin ihr brachte. Der dicke Glaskrug fühlte sich seltsam an, und das Bier schmeckte so, als bestünde es zur Hälfte aus Wasser.
Sie stellte ihre Reisetasche neben sich auf die Bank und begann darin zu kramen. Am Boden lag der Reiseführer durch die historischen Baulichkeiten Großbritanniens. Bellwood war darin verzeichnet, und es war-wie bisher - der Öffentlichkeit zugänglich. Sie suchte nach den anderen Häusern von Nicholas. Sie wurden nicht länger als Ruinen geführt. Alle elf Häuser, die Nicholas einst besessen hatte, standen noch, und drei davon gehörten noch immer den Staffords.
Dougless blinzelte und las den Absatz ein zweitesmal. Im Reiseführer stand, daß die Staffords zu den ältesten und reichsten Familien Englands gehörten, daß sie im siebzehnten Jahrhundert in die königliche Familie eingeheiratet hatten und der gegenwärtige Herzog ein Vetter der Königin sei.
»Herzog«, flüsterte Dougless. »Nicholas, deine Nachkommen sind Herzöge.«
Das Essen wurde ihr gebracht, und Dougless war unangenehm davon berührt, wie es serviert wurde - formlos und alles zugleich auf den Tisch.
Sie begann zu essen und las dabei in ihrem Reiseführer. Von Bellwood abgesehen, waren alle ehemaligen Häuser von Nicholas im Privatbesitz und der Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sie suchte nun die Beschreibung von Thornwyck heraus. Auch dieses Schloß befand sich in Privatbesitz, aber ein kleiner Teil davon konnte jeden Donnerstag besichtigt werden. >Der derzeitige Inhaber der Herzogswürde ist der Auffassung, daß die Schönheit dieses Hauses, das von seinem Vorfahren, dem hervorragenden Gelehrten und kunstsinnigen Nicholas Stafford selbst entworfen wurde, ein Gut sei, das er mit der ganzen Menschheit teilen müsse.<
»Hervorragender Gelehrter«, flüsterte sie. Kein Frauenheld mehr, wie sie das damals in diesem Buch gelesen hatte. Keine Rede mehr von einem Verschwender und gewissenlosen Verführer, sondern ein Loblied auf den brillanten Architekten und Gelehrten.
Sie klappte den Reiseführer wieder zu und blickte hoch. Die Kellnerin stand an ihrem Tisch und sah sie seltsam befremdet an.
»War etwas mit Ihrer Gabel nicht in Ordnung?« fragte sie.
»Gabel?« Dougless wußte nicht recht, was die Frau meinte. Diese fuhr fort, Dougless anzustarren, und Dougless blickte auf ihren leeren Teller hinunter. Da lag eine unbenutzte Gabel daneben. Dougless hatte ihr Menü mit dem Löffel und dem Messer gegessen. »Nein, natürlich ist sie in Ordnung; aber ich wollte nur . . .« Sie wußte nicht, was sie als Erklärung anführen sollte, und so ließ sie den Satz unbeendet, lächelte schwach und sah sich die Rechnung an. Der Betrag - groß genug, daß man damit im Mittelalter mindestens hundert Diners hätte kaufen können - machte sie sprachlos, aber sie bezahlte sie.
Als sie wieder im Freien war, erlaubte sie sich nicht mehr, irgendwo stehenzubleiben. Wenn sie zu lange an einem Platz verharrte, verfiel sie in ein Grübeln, mußte sie über Nicholas nachdenken - daß sie ihn verloren hatte und nie mehr Wiedersehen würde.
Sie rannte förmlich zum Bahnhof, um dort den ersten Zug nach Bellwood zu nehmen. Sie mußte sich dort selbst überzeugen, was sich verändert hatte. Im Zug zwang sie sich dann wieder dazu, im Reiseführer zu lesen, um sich abzulenken.
Inzwischen kannte sie den Weg vom Bahnhof zum Schloß auswendig. Nach der Zeitrechnung des zwanzigsten Jahrhunderts hatte sie Bellwood erst am Vortage besucht — an dem Tag, als sie dort von Nicholas’ Hinrichtung erfuhr. Die Fremdenführerin war nicht sehr freundlich zu ihr gewesen, da sie Dougless als die Person identifizierte, die beim ersten Rundgang den Alarm ausgelöst und ihre Tour gestört hatte.
Dougless kaufte ihre Karte und das Begleitheft für den Rundgang am Eingang, und als die Tour begann, wurde sie wieder von der gleichen Fremdenführerin geleitet.
Im Haus hatte Dougless nun einen ganz anderen Eindruck als vorher - sie hielt es nicht für »schön«, sondern war enttäuscht von
Weitere Kostenlose Bücher