Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
links von Willoughbys zufällig geneigtem Kopf in die Kommode. Am Pfeilschaft hing ein Papierstreifen mit der adretten Formulierung: »WARNUNG! ICH SCHIESSE, UM ZU TÖTEN.«
»Total plemplem«, entfuhr es uns unisono.
Doch von da an hüllte sich Willoughby in jedes nur denkbare schützende Kleidungsstück – Hockeyhandschuhe, schwerer langer Mantel, Brustschutz eines Catchers, Motorradhelm, Schweißerbrille, und was ihm sonst noch alles in die Hände fiel –, während Katz und ich im Flur Schmiere standen, ihn antrieben und immer wieder fragten, wie weit er denn nun sei.
Es bestand insofern eine besondere Dringlichkeit in der Angelegenheit, als der Playboy seit einiger Zeit begonnen hatte, Schamhaar zu zeigen. Schwer zu glauben, dass bis in die 1960er Jahre hinein eine so wichtige erogene Zone noch nicht entdeckt war. Doch so war es. Bisher hatten Frauen in Männermagazinen überhaupt keine Fortpflanzungsorgane – jedenfalls keine, die sie Fremden gezeigt hätten. Sie schienen an einem komischen krankhaften Reflex zu leiden, den Willoughby als vaginis timiditus bezeichnete und der sie aus unerfindlichen Gründen zwang, wann immer eine Kamera gezückt wurde, sich in den Hüften zu drehen und ein Bein über das andere zu schlagen, als versuchten sie, ihre untere Hälfte wegzudrehen. Jahrelang dachte ich, das sei die Position, die Frauen von Natur aus einnähmen, wenn sie nackt waren und sich wohl fühlten. Als der Playboy zum ersten Mal Schamhaar zeigte, bestimmte das mindestens 72 Stunden lang alle Gespräche US-amerikanischer Männer. (»Einmal Öl nachgucken, Mister? Schon den neuen Playboy gesehen?«) Woolworth verkaufte binnen 24 Stunden seinen gesamten Bestand an Vergrößerungsgläsern.
Wir wünschten uns nichts sehnlicher, als in den Kreis der Eingeweihten einzutreten. Doch obwohl Willoughby schon seit zwei Jahren alle möglichen Anstrengungen unternahm, kam er nie an das Privatlager seines Bruders, bis er total frustriert eines Tages die unterste Schublade mit einer Feuerwehraxt einschlug. Eine Fülle von Männermagazinen glitt heraus – sein Bruder war wirklich ein Sammler vor dem Herrn. Ich habe selten einen angenehmeren oder lehrreicheren Nachmittag verbracht. Willoughby kriegte zwei Monate Hausarrest, doch wir waren einhellig der Meinung, dass es das Opfer wert war, und er hatte wenigstens die Genugtuung, dass auch sein Bruder Ärger bekam, denn, ehrlich gesagt, waren ein paar der Magazine wirklich sehr anstößig.
Was lebendiges weibliches Fleisches betraf, war ich weiterhin ein absoluter Pechvogel, was das Erwischen des richtigen Zeitpunkts betraf. Im Sommer zwischen der achten und neunten Klasse besuchte ich meine Großeltern, wo ich die üblichen vergnüglichen Intermezzi mit meinem Onkel Dee, der menschlichen Wollflockenmaschine, erlebte. Bei meiner Rückkehr erfuhr ich, dass während meiner Abwesenheit ein strahlend hübsches, patentes Mädchen namens Kathy Wilcox zu Willoughby nach Hause gekommen war, um Pauspapier zu borgen, und zum Schluss ihm und Katz ein neues Spiel beigebracht hatte, das sie im Bibel-Zeltlager – im Bibel-Zeltlager!!! – gelernt hatte. Man verband einem Freiwilligen die Augen, drehte ihn ein paar Minuten lang im Kreis und drückte ihm oder ihr ungefähr dreißigmal auf die Brust, woraufhin er oder sie in Ohnmacht fiel. Ein Riesenspaß.
»Passiert jedes Mal«, sagten sie.
»Entschuldigung, habt ihr gerade ›Brust‹ gesagt? – ›drückt ihr auf die Brust‹?«, sagte ich.
Kathy Wilcox war eine junge Frau mit einer Brust, die zu drücken sich lohnte. Die bloße Erwähnung ihres Namens reichte aus, jedes Blutkörperchen in meinem Körper in die Beckengegend zu schicken und in sinnloser Bereitschaft riesig anzuschwellen. Willoughby und Katz nickten fröhlich. Ich fasste es nicht, dass mir das schon wieder passierte.
»Kathy Wilcox’ Brust? Ihr habt Kathy Wilcox auf die Brust gedrückt? Mit den Händen?«
»Mehrmals«, sagte Willoughby und strahlte.
Katz bestätigte es mit erneutem fröhlichem Nicken.
Meine Verzweiflung ist mit Worten gar nicht zu beschreiben. Ich hatte die einzige echte, handfeste erotische Erfahrung verpasst, die es für Jungs von 14 je gab, und stattdessen 24 Stunden lang beobachtet, wie ein Mann die unterschiedlichsten Nahrungsmittel in fliegende Molke verwandelt.
Rauchen war die große Entdeckung der Zeit. Und Manno, ich entdeckte es auch! Was hab ich geraucht! Ein Dutzend Jahre oder so tat ich wenig mehr in meinem Leben als an
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