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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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sagte er verzweifelt jedes Mal, wenn wir von 1959 bis zu seinem Tod 25 Jahre später daran vorbeifuhren. »Hast du jemals was Hässlicheres in deinem Leben gesehen?« , fragte er, ohne eine Antwort zu erwarten.
    Ich fand es wunderschön. Ich konnte es gar nicht abwarten, dass es überall noch mehr solcher Schilder gab, und mein Wunsch wurde mir sehr schnell erfüllt, als überall neuere, klotzigere, autofreundlichere Geschäfte wie Pilze aus dem Boden schossen. 1959 bekam Des Moines sein erstes Einkaufszentrum weit draußen an der Merle Hay Road, und der Teil der Stadt war so abgelegen, so weit draußen auf dem Land, dass viele Leute fragen mussten, wo es war. Das neue Einkaufszentrum hatte einen Parkplatz, der so groß wie einer der Neuenglandstaaten war. So viel Asphalt an einem Stück hatte man noch nie gesehen. Selbst mein Vater fand es aufregend.
    »Donnerwetter, schau mal, die vielen Parkplätze«, sagte er, als sei er all die Jahre endlos herumgefahren und habe nirgendwo einen gefunden. Ungefähr ein Jahr lang war der Parkplatz des Merle-Hay-Einkaufszentrums der gefährlichste Ort in Des Moines, weil alle Autos freudig in willkürlichen Richtungen über seine grenzenlose schwarze Fläche fuhren, ohne daran zu denken, dass alle anderen glücklichen Menschenkinder es ihnen vielleicht gleichtaten.
    Von nun an kaufte mein Vater niemals mehr woanders ein. Die meisten Leute auch nicht. Anfang der sechziger Jahre brüstete man sich damit, wie lange man schon nicht mehr in der Innenstadt gewesen war. In den Einkaufszentren fand man ein neues Glück. Zu dem Zeitpunkt, als ich endlich erwachsen wurde, hörte Des Moines auf, sich wie die Stadt anzufühlen, in der ich groß geworden war.

    Nach der Greenwood wechselte ich zur Callanan Junior High School, um dort die Klassen sieben bis neun zu absolvieren – meine ersten Teenagerjahre. In der Callanan wehte ein rauerer Wind. Ihr Einzugsgebiet umfasste ein breiteres Spektrum der Stadtbevölkerung, die Schülerschaft war halb schwarz, halb weiß. Viele von uns kamen zum ersten Mal in näheren Kontakt mit schwarzen Kids. Plötzlich gab es 600 Schulkameraden, die stärker, flinker, zäher, mutiger, hipper und gewitzter als wir waren. Und wir begriffen ein für alle Mal, was wir schon immer heimlich vermutet hatten – dass wir niemals Bob Cousys Platz bei den Boston Celtics einnehmen, niemals Lou Brocks Rekorde im Base-Stehlen für die St. Louis Cardinals brechen, niemals überhaupt in einer Sportart zur Qualifikation für die Olympischen Spiele antreten würden. Ja, wir würden es nicht mal mehr ins Junior-Varsity-Softballteam schaffen.
    All das zeigte sich nämlich schlagartig, als uns Mr. Schlubb, der birnenförmige Sportlehrer, am allerersten Tag hinausschickte, damit wir ein halbes Dutzend Runden auf einer grotesk langen Aschenbahn rannten. Für uns Schüler von der Greenwood – alle weiß, marshmallowig, von Natur aus unsportlich, in dem ungewohnten hellen Sonnenlicht blinzelnd – war es ein körperlicher Schock, wie wir ihn noch nie erlebt hatten. Wir rannten fast alle, als kämpften wir uns durch Treibsand, und rangen schon an der ersten Kurve nach Luft. In der zweiten Runde brach ein Junge namens Willis Pomerantz in Tränen aus, weil er noch nie geschwitzt hatte und dachte, er verliere lebenswichtige Flüssigkeiten, und drei andere ersuchten darum, zur Schulkrankenschwester geschickt zu werden. Die schwarzen Jungs, einschließlich eines Dreihundertpfund-Sphäroids namens Tubby Brown, dagegen segelten alle ohne Ausnahme in leichtem Trab an uns vorbei. Diese Jungs waren nicht nur ein wenig besser als wir, sie waren in ganz anderen Größenordnungen besser, und zwar in allen Sportarten, wie wir bald herausfanden.
    Den Winter verbrachte man an der Callanan mit Basketballspielen in einer trüb beleuchteten Halle – jeden Tag stundenlang, so kam es einem jedenfalls vor –, und kein weißer Junge, den ich kannte, sah jemals einen Ball. Ehrlich. Man sah nur eine Folge müheloser blitzschneller Bewegungen zwischen zwei oder drei schlaksigen schwarzen Jungs, und dann machte es Swisch im Netz und man wusste, man musste sich umdrehen und zum anderen Ende des Spielfelds hoppeln. Eigentlich versuchte man die ganze Zeit nur, sich aus dem Weg zu halten, und hob die Hand auch nie über Taillenhöhe, denn sonst sah es noch so aus, als wolle man den Ball gepasst haben, obwohl man nichts weniger wollte. Ein Junge mit Namen Walter Haskins kratzte sich in der Nähe des Korbes einmal

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