Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit
Betragen.
In Wirklichkeit waren junge Menschen nie so brav oder so eifrig konservativ gewesen. Mehr als die Hälfte von ihnen glaubte laut Umfragen, wie J. Ronald Oakley in God’s Country: America in the Fifties schrieb, dass Masturbation Sünde sei, Frauen zu Hause bleiben sollten und man der Evolutionstheorie nicht trauen dürfe – Ansichten, denen viele ihrer älteren Mitbürger aus tiefstem Herzen Beifall gespendet hätten. Außerdem arbeiteten Teenager hart und trugen mit Wochenend-und Freizeitjobs erheblich zum Wohlstand der Nation bei. 1955 verfügte der typische US-amerikanische Teenager über so viel Einkommen wie eine durchschnittliche vierköpfige Familie 15 Jahre zuvor. Insgesamt trugen die Geschmähten jährlich zehn Milliarden Dollar zum Bruttosozialsprodukt bei. Einerlei, wie man es betrachtete, Teenager waren keine schlechten Menschen. Von heute aus beurteilt, steht es allerdings außer Frage, dass man sie hätte einschläfern sollen.
Nur eines war in den 1950er Jahren fast genauso bedrohlich wie die Teenager, und das war natürlich der Kommunismus. Sich wegen des Kommunismus Sorgen zu machen war in dieser Dekade eine anstrengende, anspruchsvolle Tätigkeit. Die Rote Gefahr lauerte überall – in Büchern und Zeitschriften, in Regierungsstellen, im Schulunterricht, an allen Arbeitsplätzen. Besonders verdächtig war die Filmindustrie.
»Sehr viele Kinofilme, die aus Hollywood kommen, haben kommunistische Tendenzen«, trug 1947 der Kongressabgeordnete J. Parnell Thomas aus New Jersey, der Vorsitzende des Ausschusses für Unamerikanische Umtriebe des Repräsentantenhauses, mit ernster Miene vor und alle nickten zustimmend, auch wenn niemandem bei genauerem Nachdenken ein Hollywoodfilm eingefallen wäre, der auch nur im Geringsten mit marxistischem Gedankengut sympathisierte. Parnell nannte nie die Filme, die er im Kopf hatte, aber er hatte auch kaum noch Zeit dazu, dann er wurde schon bald überführt, große Summen Regierungsgelder veruntreut zu haben, indem er Löhne an fiktive Angestellte zahlte. Er wurde zu 18 Monaten Haft in einem Gefängnis in Connecticut verurteilt, wo er das unerwartete Vergnügen hatte, mit zweien der Leute einzusitzen, die sein Ausschuss dorthin gebracht hatte. Lester Cole und Ring Lardner junior hatten sich geweigert, vor dem Ausschuss auszusagen.
Walt Disney dagegen ließ sich nicht lumpen und behauptete vor dem Ausschuss, dass die Cartoonistengewerkschaft in Hollywood von überzeugten Roten und ihren Sympathisanten angeführt werde und 1941 versucht habe, während eines Streiks sein Studio zu übernehmen und Mickymaus zum Kommunisten zu machen. Auch er legte nie Beweise vor, denunzierte aber einen seiner früheren Angestellten als Kommunisten, weil er nicht zur Kirche ging und einst Kunst in Moskau studiert hatte.
Wahnsinnige fanden in dieser Zeit ganz besonders leicht Gehör. Der Wanderprediger Billy James Hargis, ein pummeliger Rüpel aus Sapulpa, Oklahoma, warnte die Nation in wöchentlichen, schweißtreibenden Predigten, dass die Kommunisten sich in die Bundesaufsicht der US-Banken eingeschlichen, ja, sie praktisch übernommen hätten wie auch das Erziehungsministerium, den Nationalen Kirchenrat und fast alle anderen nur denkbaren, landesweit agierenden Organisationen. Seine Verkündigungen wurden von 500 Radio- und 250 Fernsehsendern übertragen und gewannen eine riesige Anhängerschaft, wie auch seine vielen Bücher, die Titel hatten wie Communism: The Total Lie und Is the Schoolhouse the Proper Place to Teach Raw Sex ?
Obwohl Hargis keinerlei Schulabschlüsse besaß (er war sogar vom Ozark Bible College geflogen – was ihm erst mal einer nachmachen musste), gründete er mehrere Ausbildungsanstalten, darunter die Christian Crusade Anti-Communist Youth University. (Die Unihymne hätte ich gern gehört!) Als Hargis gefragt wurde, was an seinen Bildungsstätten gelehrt werde, erwiderte er: »Antikommunismus, Antisozialismus, Antisozialstaat, Anti-Russland, Anti-China, die wörtliche Interpretation der Bibel und die Rechte der Bundesstaaten.« Hargis brachte sich schließlich selbst zu Fall, als herauskam, dass er in Momenten göttlicher Inbrunst mit mehreren seiner Studenten, männlichen wie weiblichen, Sex gehabt hatte. Der Economist berichtete, dass ein Paar diese Entdeckung machte, als es einander in der Hochzeitsnacht errötend diese Fehltritte beichtete.
Auf dem Höhepunkt der Roten Gefahr gab es in 32 der 48 Staaten Verpflichtungen zu Treueeiden der
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