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Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit

Titel: Mein Amerika: Erinnerungen an eine ganz normale Kindheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bill Bryson
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der Erde. Binnen Sekunden erhob sich über Eniwetok eine Feuerkugel von fünf Meilen Höhe und vier Meilen Durchmesser, die zu einer Pilzwolke anschwoll, die 30 Meilen über der Erde über die Stratosphäre hinausstieß, sich über 1000 Meilen in jede Richtung ausbreitete und einen staubigen Ascheregen ausspie, der alles verdunkelte, bevor sie sich langsam auflöste. Es war das größte Gebilde jedweder Art, das je von Menschen kreiert worden war. Neun Monate später überraschten die Sowjets die Westmächte, als sie ihrerseits einen thermonuklearen Sprengsatz zur Explosion brachten. Das Rennen um die Auslöschung des Lebens hatte begonnen – und zwar rasant. Nun waren wir wirklich der Tod, der Zerstörer von Welten.
    Es ist also nicht verwunderlich, dass ich in der Zeit, als das geschah, in Des Moines, Iowa, saß und mir still in die Hosen machte. Ich hatte keine Wahl. Ich war zehn Monate alt.
    Furcht erregend an der Entwicklung der Bombe war nicht so sehr die Entwicklung der Bombe als vielmehr die Leute, die für die Entwicklung der Bombe zuständig waren. Denn nur wenige Wochen nach dem Test auf Eniwetok überlegten die Großkopfeten im Pentagon wahrhaftig, wie sie dieses Goldstück zur Anwendung bringen konnten. Sie erwogen allen Ernstes, einen Sprengsatz irgendwo nicht weit von der Front in Korea zu bauen, eine große Zahl nordkoreanischer und chinesischer Truppen zu verlocken, mal einen Blick darauf zu werfen, und ihn dann zu zünden.
    Das Mitglied des Repräsentantenhauses für Pennsylvania, James E. Van Zandt, ein maßgeblicher Befürworter der Verwüstung, versprach uns bald einen Sprengsatz von mindestens 100 Megatonnen – der vielleicht alle unsere atembare Luft verzehren würde. Gleichzeitig träumte Edward Teller, der halb durchgeknallte Physiker aus Ungarn, eines der führenden Genies hinter der Entwicklung der H-Bombe, von aufregenden Verwendungen für nukleare Sprengsätze in Friedenszeiten. Teller und seine Gefolgsleute bei der Atomenergiebehörde wollten H-Bomben bei gewaltigen Bauvorhaben in einer Größenordnung einsetzen, die bis dahin unvorstellbar gewesen war: Man wollte Tagebaubergwerke anlegen, wo sich einmal Berge erhoben hatten, den Lauf von Flüssen zu unseren Gunsten ändern (und damit zum Beispiel sicherstellen, dass die Donau nur kapitalistischen Ländern zugutekam) sowie lästige Hindernisse für Handel und Schifffahrt in die Luft jagen wie zum Beispiel das australische Great Barrier Reef. Begeistert berichteten sie, dass man nur 26 Bomben in einer Reihe über der Meerenge von Panama hochgehen lassen müsste und mehr oder weniger sofort einen größeren, besseren Panamakanal ausgehoben hätte – und obendrein noch ein wunderhübsches Schauspiel geboten bekäme. Sie meinten sogar, man solle mit Nuklearsprengköpfen das Wetter auf der Erde verändern, indem man die Menge des Staubes in der Atmosphäre regulierte und damit auf Dauer den Winter aus dem Norden der Vereinigten Staaten verbannte und ihn für immer und ewig in die Sowjetunion schickte. Fast beiläufig schlug Teller vor, wir sollten den Mond als gigantisches Ziel zum Sprengköpfetesten benutzen. Die Explosionen wären durch Ferngläser von der Erde aus zu beobachten und würden Millionen Menschen nette Unterhaltung bieten. Kurzum, die Schöpfer der Wasserstoffbombe wollten die Welt in unvorhersehbare Strahlungsmengen hüllen, ganze Ökosysteme vernichten, das Antlitz der Erde verheeren sowie unsere Feinde bei jeder Gelegenheit provozieren und gegen uns aufbringen – und davon träumten sie in Friedens zeiten!
    Im Grunde war es ihr Ehrgeiz, eine megagrauenhafte, transportable Bombe zu bauen, die wir auf die Köpfe von Russen und anderem geistesverwandtem Gesindel fallen lassen konnten, wann immer es uns beliebte. Der Traum wurde am ersten März 1954 zur entzückenden Realität, als die Vereinigten Staaten 15 Megatonnen Knallzeug aus Gründen der Experimentierlust über dem ebenfalls zu den Marshallinseln zählenden Bikini-Atoll detonieren ließen (einem so wunderschönen Ort, dass wir sogar ein Damenbekleidungsstück danach benannt haben). Die Explosion übertraf die Hoffnungen bei weitem. Man sah den Blitz in Okinawa, 2600 Meilen entfernt. Radioaktiver Niederschlag ging sichtbar über einem Gebiet von mehr als 7000 Quadratmeilen nieder. Und alles schwebte nicht in die vorhergesagte Richtung, sondern in die genau entgegengesetzte. Wir wurden nicht nur gut darin, richtig gigantische Explosionen auszulösen. Wir schafften es

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