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Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Mein Bild sagt mehr als deine Worte

Titel: Mein Bild sagt mehr als deine Worte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Levithan
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hineinkriechen. Wir waren in den Wald gegangen, weil sonst keiner auf eine solche Idee gekommen war. Wenn du nicht gerade mit Jack zusammen warst, hast du wieder ganz mir gehört. Letztes Jahr. Es muss letztes Jahr gewesen sein. Wir hatten uns in den Wald geflüchtet, um uns an der Hand zu halten und miteinander zu reden. Das haben wir oft gemacht, weil ich es so gern mochte, und ich hätte mich an dieses eine Mal bestimmt nicht erinnert, wenn du da nicht diesen seltsamen Satz gesagt hättest.
    Ich will mich nicht daran erinnern. Aber ich habe über mein Gedächtnis genauso wenig Kontrolle wie über die Vergangenheit.
    »Wenn ich dich jemals bitte, mir eine Pistole zu besorgen«, hast du gesagt, »wirst du es dann tun?«
    Zuerst dachte ich, es wäre ein Scherz. »Und welches Modell hättest du dann gern?«, hab ich dich gefragt.
    Erinnerst du dich?
    »Egal«, lautete deine Antwort. »Hauptsache, man kann damit schießen.«
    Da wusste ich auf einmal, dass es kein Spiel oder Spaß war. Es war ein Test. Eine Falle.
    »Wovon redest du da?«, sagte ich.
    Und darauf du, noch einmal: »Wenn ich dich jemals bitte, mir eine Pistole zu besorgen, wirst du es tun?«
    »Eine Pistole?«
    »Ja, eine Pistole.«
    Bei mir zu Hause hatte niemand eine Pistole. In meinem Leben gab es niemanden, der eine Pistole hatte.
    Das hab ich dir auch gesagt.
    »Aber würdest du mir eine besorgen? Wenn ich dir sagen würde, dass ich sie wirklich brauche?«
    Ich hätte darauf am liebsten geantwortet: Du bist ja wohl verrückt , aber ein solcher Satz war damals bereits gefährlich.
    Du hast mich angeschaut, aber dein Gesichtsausdruck war absolut nichtssagend. Deine Hand lag auf der Borke eines Baums und ich hielt meinen Blick starr darauf gerichtet. Ich dachte darüber nach, warum man bei einem Baum Borke sagt und nicht einfach Haut . Ich überlegte, ob es vielleicht damit zu tun hat, dass unsere Haut viel dünner und verletzlicher ist.
    »Evan«, hast du gesagt und mich in die Wirklichkeit zurückgeholt.
    »Ich wüsste nicht, wo ich für dich eine Pistole herbekommen sollte«, sagte ich.
    »Aber wenn, würdest du es dann für mich tun?«
    »Warum fragst du mich das?«
    Ich dachte, ich könnte dich aufhalten. Ich dachte, ich könnte es verhindern.
    Du hast deine Hand vom Baum weggenommen. Bist zu mir gekommen und hast dich an mich geschmiegt. Ich dachte, damit wäre es ausgestanden. Ich dachte, wir würden jetzt von etwas anderem reden.
    Aber dann hast du noch etwas gesagt, sachlich und ruhig:
    »Wenn ich dich jemals bitten sollte, mir eine Pistole zu besorgen, tu es nicht. Egal, was ich sage, tu es nicht.« Du hast mir in die Augen geschaut. »Hörst du, Evan? Wenn ich dich um so etwas bitten sollte, hol Hilfe. Wenn ich so etwas sage, musst du mich retten.«
    plus/minus
    positiv/negativ
    1/0
    ich kann/ich kann nicht
    ich werde/ich werde nicht
    du bist/du bist nicht
    sagte ich/dachte ich
    »werde ich«, sagte ich/ kann ich nicht, dachte ich
    kann ich, dachte ich/»das wirst du nicht«, sagte ich
    Es gibt keine Möglichkeit, sich von einer Erinnerung zu befreien. Sie verschwindet, wenn sie verschwindet, egal ob das blitzartig geschieht oder eine Ewigkeit nachdem du darum gebettelt hast. Was hab ich darauf erwidert? Was hab ich damals zu dir gesagt? Wahrscheinlich habe ich schnell das Thema gewechselt, und worüber wir danach geredet haben, war zu belanglos, um mich jetzt noch daran zu erinnern. Und so befand ich mich auf einmal wieder in der Gegenwart, im Wald, das Foto in der Hand. In der Ferne hörte ich Autos. Zweige peitschen mir ins Gesicht, ohne dass ich mich dagegen wehrte. Ich wanderte nicht ziellos umher – ich hatte ein Ziel –, aber ich wanderte kopflos umher. Ich hörte, wie die Baumkronen im Wind raschelten. Ich suchte nach einer Mauer. Nach einer Weile hörte ich auf, deinen Namen zu rufen.
    Es ist ein unfairer Kampf, dachte ich. Auf dem Foto waren die Blätter alle weiß. Ich suchte nach etwas, das nicht so war, wie es war.
    Dann fiel mir ein, dass ich ja vielleicht mit Füßen trat, wonach ich suchte.
    Und ich dachte: Na klar, das ist es .

3 F
    Es gab eine Stelle im Wald, wo das Gelände steil abfiel. Da war ein Pfad. Und eine Brücke. Eine kleine Brücke. Eine kleine Steinbrücke.
    Ich rannte, als würde jemand auf mich warten. Als wäre ich zu spät dran.
    »Hörst du, Evan? Wenn ich dich um so etwas bitten sollte, hol Hilfe. Wenn ich so etwas sage, musst du mich retten.«
    Ich hab’s versucht ich hab’s versucht ich hab’s

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