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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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Diskussionen und gesellschaftliche Spannungen hervorbringen. Welche Auswirkungen das haben kann, wird deutlich, wenn man auf andere Bereiche blickt, die die Digitalisierung bereits erfahren haben. Seit die Musiktauschplattform Napster im Jahr 1999 im Internet ihren Dienst aufnahm, scheint die Welt der Musikindustrie aus den Fugen zu sein. Bis heute wird darüber gestritten, wie kulturelle Werke, kreative oder journalistische Inhalte im Netz finanziert werden können. Eine wirklich überzeugende und zufriedenstellende Lösung konnten bisher weder Wissenschaftler noch Aktivisten, Wirtschafts- oder sonstige Experten präsentieren. Was wird wohl erst geschehen, wenn wir selbst und das, was uns ausmacht, im digitalen Format im Netz vorliegen?
    Die bereits seit Jahrzehnten voranschreitende Entmaterialisierung hat interessante Veränderungen in unserer Gesellschaft hervorgerufen, die einen digital initiierten Wertewandel beinhalten. Man kann beobachten, dass sich nach und nach neue Wertesysteme und Statussymbole etablieren. Der zum Großteil in Schweden lebende Blogger und Digitalnomade Martin Weigert fasst diesen Wandel in seinem Blog netzwertig.com wie folgt zusammen: »Digitale Technologien ermöglichen einen neuen, befreiten Lebensstil, bei dem die Bedeutung von physischem Besitz in den Hintergrund tritt.« Damit bezieht sich Weigert auf den von Kelly Sutton entwickelten CultOf Less, eine Art digitaler Minimalismus. Auf der gleichnamigen Webseite listet der New Yorker Programmierer seit knapp drei Jahren seine kompletten Habseligkeiten auf und versucht sie gleichzeitig immer weiter zu minimieren, indem er sie online verkauft. Während wir dieses Buch schreiben, sind es 74 Gegenstände, darunter ein Laptop, ein Kopfkissen und ein paar Klamotten, die ihm persönlich gehören. Erst die Digitalisierung ermöglicht seinen postmaterialistischen Lebensstil, denn fast alles, was Sutton zum Leben benötigt, findet er im Netz. Arbeit, Werkzeuge, Tausch- und Zimmerangebote. Geld verdient der 26-jährige Programmierer mit Vorträgen, Webprojekten und Schreibarbeiten. Diese extreme Lebensform lässt sich im Kleinen auch in der breiten Gesellschaft wiederfinden. Während früher die Buch-, Film- und Plattensammlung das Wohnzimmerregal ausfüllte, liegen Musik, Bücher und Filme heutzutage entweder auf der Festplatte oder jederzeit abrufbar in der Cloud. Selbst der Besitz einer digitalen Musik- oder Filmdatei ist oft überwunden. Denn der Trend geht in Richtung Streaming. Das heißt, man lädt nicht länger Dateien aus dem Netz auf den eigenen Rechner, wo sie auf der Festplatte gesichert sind, sondern man stellt lediglich eine Verbindung zu einer Datei her, die sich irgendwo im Internet befindet, und empfängt ein Video- oder Musiksignal, das auf dem heimischen Rechner oder Mobilgerät in Ton und Bild verwandelt wird. Es geht also längst nicht mehr um den Besitz, sondern um den Zugang zu Informationen. Dieser Zugang ist allerdings keine Einbahnstraße, er stellt auch immer häufiger einen Rückkanal zu uns her. Denn während wir Inhalte und Informationen zu uns holen, streamen wir einen Teil unseres Selbst zurück ins Netz.
    Soziale Netzwerke veranlassen uns dazu, immer mehr Informationen und Inhalte zu teilen. In einigen Fällen werden wir sogar zum Teilen gezwungen: Immer mehr Internetdienste lassen sich beispielsweise nur mit einer Facebook-Anmeldung nutzen, was dafür sorgt, dass die Benutzung des Dienstes innerhalb des Facebook-Universums geteilt wird. Seit der Erfindung des Facebook’schen Like-Buttons ist es lediglich die physische Handlung eines winzigen Mausklicks, die uns zu Informationsverteilern macht. Und selbst das ist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg zu viel Aufwand. Das Problem bestehe darin, so könnte man Zuckerberg verstehen, dass ein Klick auf »Ich mag das« eine bewusste Handlung sei, die einerseits eine beabsichtigte, authentische Meinung oder Einstellung sein kann, der gleiche Klick kann aber auch dazu dienen, sich selbst zu inszenieren. Demnach »liken« Nutzer etwas, weil sie innerhalb ihres persönlichen virtuellen Freundeskreises zu einer bestimmten Gruppe dazugehören oder sich selbst in ein besseres Licht rücken wollen. Dass soziale Netzwerke der Selbstinszenierung dienen, bestätigt auch eine Studie der San Diego State University. Psychologen befragten 2009 über 1000 US-amerikanische Studenten, zu welchem Zweck ihrer Meinung nach die meisten ihrer virtuellen Freunde soziale Netzwerke benutzen. 57

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