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Mein digitales Ich

Mein digitales Ich

Titel: Mein digitales Ich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ariane Christian u Greiner Grasse
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bei gleichzeitig zunehmender Zimmertemperatur. Johns Körper fängt im Schlaf an zu schwitzen, ein eingebauter Sensor in der Bettdecke nimmt die erhöhteFeuchtigkeit wahr und sendet ein Signal an die Klimaanlage im Haus. Es dauert nur wenige Minuten, bis sich das Heizungssystem an Johns Biorhythmus anpasst. Die Technik macht es seinem schlafenden Körper so angenehm wie möglich, und das soll auch bei der Aufwachphase so bleiben. Er hat am vorigen Abend der Wecker-Applikation seines Telefons gesagt, dass er gerne zwischen neun und zehn Uhr aufwachen möchte. Der Wecker zapft nun die gesammelten Daten aller bisher erfassten Schlafphasen an und errechnet eine Weckzeit, die ihn möglichst erfrischt aufwachen lässt. Die Wecker-Software kennt Johns Schlafgewohnheiten in- und auswendig, denn das Programm hat per Internet Zugriff auf einen fünf Jahre umfassenden Datensatz seines Schlafverhaltens. »Tage, an denen Sie nur mit Mühe aus dem Bett kommen, gehören endlich der Vergangenheit an!« Mit diesem Slogan hat der Anbieter der Applikation John und Millionen andere Kunden zum Kauf animiert. Plötzlich ertönt ein leises, tiefes Brummen, das langsam immer dynamischer im Klangspektrum wird. Es ist vergleichbar mit dem Klang eines tibetischen Meditationsgesangs, in einigen Passagen erinnert das Geräusch an das Summen einer Libelle. Nach wenigen Sekunden mischen sich etwas höhere Töne in das mittlerweile deutlich hörbare Wecksignal. Die Kombination der Töne basiert auf Johns persönlichen Schlaf- und Körpereigenschaften. Die speziell für ihn erzeugte Ton- und Klangfolge sorgt dafür, dass sein Bewusstsein sanft aus der Schlafphase heraustritt und der Körper möglichst optimal und vor allem stressfrei und erholt erwacht.
    9:50 Uhr. John öffnet die Augen und blickt an die Decke des Schlafzimmers. Der zweite Blick geht zum Monitor, der auf der Kommode neben dem Bett steht. Der Bildschirm leuchtet automatisch auf, zeitgleich mit dem Ton des Weckers. Die im Monitor integrierte Kamera erkennt dank einer Gesichtserkennungs-Software Johns geöffnete Augen und schließt daraus, dass er wach ist. Der etwas höhere Puls und die minimal zunehmende Hautfeuchtigkeit deuten ebenfalls auf einen Wachzustand hin. »Schlafeffizienz: 95 %« zeigt der Bildschirm an, ein guter Wert, der mit Johns Gefühl übereinstimmt. Das Weckergeräusch verstummt automatisch. »Musik«, sagt John, während er sich aufrichtet und langsam aus dem Bett steigt. Sein aktuelles Lieblingsstück erklingt, gefolgt von einer individuellen Playlist, die sich an seinem ganz persönlichen Musikgeschmack orientiert. Das im ganzen Haus integrierte Computersystem kennt die musikalischen Vorlieben genauso detailliert, wie es über die Schlaf- und Essgewohnheiten seines Besitzers Bescheid weiß. John ist Datenlieferant und Informationskonsument zugleich. Das Internet ist längst nicht mehr nur ein Werkzeug für die Arbeit, ein Unterhaltungs- oder Kommunikationsmedium oder ein virtueller Raum, den man quasi betreten kann. Das Internet organisiert das Leben, optimiert und erweitert Körper und Geist – es ist überall und nirgends, ständig spürbar und doch unsichtbar. Es ist wie Elektrizität. John ist Teil des weltweit vernetzten Datenstroms, er versorgt das Netz mit Informationen und profitiert im Gegenzug davon, denn je mehr Körper- und Verhaltensdaten in das System eingespeist werden, desto größer ist der Erkenntnisgewinn für jeden Einzelnen. Eine gewachsene Symbiose einer kollektiv vernetzten Menschmaschine, wenn man so will. Derzeit gibt es weltweit 1186 Personen, die eine vergleichbare Ausgangsdatenlage wie John haben: Alter, Schlaf, Ernährung, Arbeit, Stress. Psychosozial und physiologisch gesehen sind diese Personen seine »Datendoppelgänger«. 135 von ihnen haben für ihre persönlichen Datenprofile den Status »öffentlich« gewählt, das bedeutet, sie sind jederzeit für John und andere Mitglieder im Netzwerk ansprechbar. Sein Profil hingegen ist »privat« und somit nur von ihm und seinem Hausarzt einsehbar, darüber hinaus liegt es ausschließlich in anonymisierter Form vor. Für die Funktion des Health-Monitor-Systems ist ein direkter Personenbezug nicht notwendig. Nach jahrelangen Debatten um den Datenschutz wurde es für alle im Netz operierenden Dienste zur Pflicht gemacht, diese Daten zu verschlüsseln und zu anonymisieren.
    Für Johns individuelle Gesundheitsempfehlung stehen seit dem internationalen Start des Systems vor fünf Jahren über

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