Mein digitales Ich
nichts voneinander wissen, sich im physikalischen Leben treffen. Das schmale Bluetooth-Armband (»wearable Bluetooth 4-enabled bracelet«) synchronisiert sich mit einer Handy-App, die das eigene Facebook-Profil aggregiert und diese Informationen in einem Speicher im Armband ablegt. Daraufhin strahlt es eine aggregierte Ansicht dieses Profils im Umkreis von etwa 50 Metern aus. Andere, die auch gerade ein »Amico« tragen, strahlen ihr Profil ebenfalls aus. Wenn zwei Profile, die von der Technik als gut zueinander passend erkannt werden, sich nahe kommen, fangen beide Armbänder an zu vibrieren. Der Hersteller wirbt damit, dass auf die Weise das Geheimnisvolle an einer Begegnung zwischen zwei Fremden gewahrt bleibe. Ich weiß vom anderen nur, dass sein Facebook-Profil gut zu meinem passt, aber nicht, inwiefern . Bisher gibt es das Armband allerdings nur als Prototyp 31 . Alles andere als geheimnisvoll und auch ungleich direkter als andere Facebook-basierte Dating-Dienste, die es zuhauf gibt, ist eine Anfang des Jahres 2013 erschienene Facebook-App mit dem unmissverständlichen Namen »Bang Your Friends« – »Bums deine Freunde«. Die Anwendung soll Facebook-Freunde mit eindeutigen Absichten physikalisch zusammenbringen, einfach und pragmatisch: Unter den eigenen Facebook-Kontakten kann der Nutzer die begehrten Freunde markieren. Sollte einer dieser Facebook-Freunde seinerseits einen ähnlichen Wunsch äußern, werden beide via E-Mail über das gegenseitige Interesse informiert. Bang!
Man kann darin eine Verrohung der Sitten sehen, einen Angriff auf die Kunst des Flirtens, mithin einen Kulturverfall … oder eine moderne, zeitgemäße Form der romantischen Annäherung: technikgestützt und je nach Charakter (der Anwendung und der Anwender) mal spielerischer, mal pragmatischer.Wir wollen derartige Dienste nicht beurteilen. Vielmehr interessiert uns daran die Frage, ob und wenn ja, wie solche Services die Begegnungen zwischen Menschen beeinflussen. Angenommen, das Amico-Armband wird tatsächlich produziert, und angenommen, ein solches am Handgelenk zu tragen wird eines Tages so selbstverständlich wie heutzutage der Besitz eines Handys – welche Auswirkungen hat diese neue Sinnfälligkeit des Subkutanen auf die zwischenmenschlichen Begegnungen? Wie verändert sich mein Sozialverhalten, wenn ich auf einmal dank technischer Hilfsmittel schon aus einigem Abstand weiß, was ich früher erst in unmittelbarer Nähe des anderen ahnen konnte, manchmal sogar erst nach einer Berührung?
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http://vimeo.com/15218294
Der britische Designer und Quantified-Self-Anhänger James Burke hat intime persönliche Beziehungen digital gemessen und analysiert. In einem Vortrag stellt er die Ergebnisse vor. (Video)
9 . Zwei Schritte vor, ein Schritt zurück: Gedanken über den technosozialen Wandel der digitalen Gesellschaft
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Eines unterscheidet uns Menschen strukturell besonders stark vom Computer: die Update-Geschwindigkeit. Während wir bei Rechnern mit nur wenigen Mausklicks stets die aktuellste Version eines Betriebssystems aufspielen können, brauchen wir selbst oft Monate, Jahre oder ganze Generationen, um uns mit einer technologischen Neuerung abzufinden und diese individuell und vor allem aber gesellschaftlich zu implementieren. Unser individuelles Betriebssystem lässt sich nicht so einfach auf den aktuellsten Stand bringen. Noch schwieriger ist es, ein passendes Update für die ganze Gesellschaft zu finden. Vor allem die Geschwindigkeit, mit der die Technologie der Gesellschaft vorauseilt, scheint problematisch. Selbst Jahrzehnte nach dem Beginn der Digitalisierung ist diese Entwicklungskluft noch spürbar, und sie wächst stetig weiter. Die bis heute nicht beendete Debatte rund um das Urheberrecht ist ein Indiz dafür. Selbst nach über 20 Jahren World Wide Web haben sich die Bereiche Recht, Politik, Wirtschaft und Kultur nicht an die Gegebenheiten einer technisch omnipräsenten, digitalen Netzwerkstruktur zum Tausch und Kopieren von Informationen angepasst. Die Digitalisierung führte zu einer Entkopplung der Inhalte von ihren Trägermedien, die Medien wurden in gewisser Weise entmaterialisiert. Das verlustfreie digitaleKopieren von Text, Musik und Filmen im Internet ist bis heute ein gesamtgesellschaftlicher Streitpunkt.
Die Digitalisierung macht aber bei »externen« Inhalten und der uns umgebenden Umwelt nicht halt, denn wir sind längst ein Teil von ihr. Das Kopieren und Teilen von Körperdaten wird ähnliche
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