Mein digitales Ich
»echte Leben« angebunden, wenn auch wiederum »nur« übers Internet. Indem ich meine Werte auf einer Plattform veröffentliche, mache ich sie für andere Selbstvermesser zugänglich. Gleichzeitig erhalte ich Einblick in die Körperdaten der anderen, und so wird ein gegenseitiges Vergleichen und Kommentieren möglich. Indem ich meine Werte mit denen der anderen vergleiche, kann ich mich verorten. Ich bekomme ein Gefühl dafür, wo ich in Relation zu anderen stehe. Unabhängig von tradierten, von irgendwelchen Autoritäten irgendwann als »normal« oder »nicht normal« definierten Standards kann ich so meine eigene, an der Gruppe derer, die so ähnlich unterwegs sind wie ich, orientierte Normalität schaffen. Durch Quantified Self findet also eine Individualisierung des Konzepts »Normalität« statt. Interessierte bisher vor allem, was allgemein als »gesund«, »schädlich«, »normal« oder »abnorm« galt, geht es nun um die Frage, ob etwas »für mich gesund« ist, ob etwas » mir schadet« oder ob ich »normal im Vergleich zu meinen Freunden« bin. Allgemein gültige und möglicherweise längst überholte Normen treten in den Hintergrund. Relevante Vergleichsgröße ist jetzt der eigene Freundeskreis, sind all jene, die so ähnlich sind wie ich. Willkommener Effekt ist die beruhigende Erkenntnis, dass ich so abnorm ja doch nicht bin, wie mich meine Umgebung glauben lässt, ist das Aufatmen darüber, dass ich so krank offenbar doch nicht bin, wie mich der Arzt gesehen hat. Ein therapeutischer Begleiteffekt von Quantified Self liegt darin, das Selbstbewusstsein derer zu stärken, die inihrem physikalischen Alltag bis dahin wenig Bestätigung von außen bekommen.
Hilfe zur Selbsthilfe
Mit dem Teilen der Daten einher geht, ganz ähnlich wie in gewöhnlichen sozialen Netzwerken, die emotionale Teilhabe am Geschehen der anderen, aber auch der Austausch von Erfahrungen und wissenswerten Sachinformationen. Anbieter wie moodtracker.com oder curetogether.com stellen Onlinetools für Leute mit bestimmten, oft chronischen Leiden bereit. Moodtracker beispielsweise, ein Portal für Leute mit Depression, kombiniert das Prinzip, durch Tracken der eigenen Stimmung Mechanismen ihrer Verschiebung zu entlarven und somit Licht ins Dunkel des eigenen Seelenlebens zu bringen, mit dem Prinzip der klassischen Selbsthilfegruppe, das Leiden des anderen durch Anteilnahme zu mindern, gegebenenfalls auch durch Sachinformationen und Tipps. In dieser technikgestützten Selbsthilfe plus dem Beistand der Community liegen wissenschaftlich noch nicht erforschte, aber vermutlich nicht zu unterschätzende Heilungspotenziale. Sowohl für das Individuum als auch für eine Gesellschaft, die sich das Interesse am Wohlergehen des anderen weitgehend abtrainiert hat.
Geht es bei herkömmlichen Social-Media-Netzwerken primär darum, mit meinen selbst ausgewählten Kontakten in einen kommunikativen Austausch zu treten, der thematisch vom gestrigen Frühstück oder dem neuesten Lady-Gaga-Video bis zum F. A. Z. -Verriss meines Lieblingsschriftstellers oder demAufruf zur Demo gegen Rechts reichen kann, prinzipiell also unspezifisch, mitunter auch zweckfrei ist, so steht bei Quantified Self ein klarer Nutzen im Vordergrund: mich und/oder andere besser zu verstehen und, je nach Ambition, in bestimmten Disziplinen zu verbessern, zum Beispiel in körperlicher Fitness, Leistungsfähigkeit oder Aussehen. Im Vergleich zum Twittern oder Posten bei Facebook, wo sich das »social« im vernetzten kommunikativen Austausch erschöpft, geht Quantified Self einen Schritt weiter: Man will Erfahrungen weitergeben, um anderen zu helfen, und man will die Erfahrungen der anderen nutzen, um sich selbst zu helfen. Social Media für soziale Zwecke. Social Social Media!
Nonverbale Kommunikation 2.0
Dass so viele Menschen weltweit so enthusiastisch an der Digitalisierung ihres Ich mitwirken, wie die massenhafte Facebook-Nutzung zeigt, inspiriert die Programmierer zu immer neuen Apps und Devices, die auf Facebook aufbauen und ihren (allesamt schüchternen?) Nutzern eine Kontaktaufnahme zu anderen Menschen im »realen« (physikalischen) Leben erleichtern oder diese sogar ersetzen wollen. Kommunikation, sogar die nonverbale, wird damit überflüssig. Nicht mehr ich bin es, der spricht, und nicht mehr mein Körper ist es, der Signale sendet. Die Signale kommen jetzt aus den Geräten.
Das »Amico Bracelet« beispielsweise soll dazu dienen, dass kontaktwillige Facebook-Nutzer, die
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