Mein digitales Ich
spielerisch vermittelt wird, aber durchaus ernsthafte Ausprägungen annehmen kann. Wer zum Beispiel mit dem Ortungsdienst Foursquare besonders oft seinen aktuellen Standort verrät, wird dafür belohnt. Mit Abzeichen und Titeln. Hält ein Benutzer den Besucherrekord in einem Restaurant, so wird er zum »Mayor« (Bürgermeister) des Standorts – so lautet die Bezeichnung für den höchsten Rang innerhalb des ortsbezogenen sozialen Netzwerks. Der Dienst verwandelt mit diesem Konzept persönliche Daten in einen öffentlich stattfindenden, spielerischen Mobilitätswettbewerb im Internet. Wer häufig unterwegs ist und viel herumkommt, ist dann klar im Vorteil. Wer von einem anderen Nutzer vom virtuellen Thron gestoßen wird, der soll sich motiviert oder zumindest daran erinnert fühlen, den gleichen Ort wieder zu besuchen. Nur so kann er den Titel zurückerobern. Diese sogenannten Gamification-Ansätze erschaffen soziale Rang- und Wertesysteme, deren Grenzen die junge digitale Gesellschaft gerade erst auszuloten beginnt. Besonders populär im Bereich der Social-Scoring-Dienste ist dasUS-amerikanische Webunternehmen Klout. Der Dienst ermittelt die Aktivität und Beliebtheit eines Nutzers, indem die Kommunikation innerhalb sozialer Netzwerke analysiert wird. Je mehr Freunde ein Nutzer hat, je öfter er kontaktiert wird und je häufiger seine Inhalte geteilt und empfohlen werden, desto höher steigt der Nutzer im sozialen Rang. So werden Menschen bzw. deren virtuelle Repräsentanten und Online-Avatare in einer digitalen Beliebtheitsskala zwischen Null und 100 einsortiert. Diese neuen Formen des Social Scorings seien allerdings erst der Anfang, schreibt der Blogger und Journalist Richard Gutjahr. Er geht davon aus, dass in Zukunft die Anzahl und Güte unserer Facebook-Freunde darüber entscheiden wird, »ob wir unseren Traumjob bekommen, welchen Handytarif wir zahlen und wie lange wir in der Telefon-Warteschleife verbringen.« 32 Als ein mögliches Szenario schildert Gutjahr die Situation in einem Callcenter, in dem Agenten blitzschnell feststellen können, »ob sie es am anderen Ende der Hotline mit einem Influencer, also einem Kunden mit viel Einfluss, zu tun haben und entsprechend kulant / ignorant reagieren.« Personalchefs könnten mit solchen Social-Scoring-Systemen in Zukunft ermitteln, wie beliebt ein potenzieller Angestellter ist und ob er über die richtigen Kontakte innerhalb seines sozialen Netzwerks verfügt. Diese Herangehensweise lässt sich sogar schon beobachten: Einige Web- und Social-Media-Agenturen rekrutieren ihre möglichen Mitarbeiter bereits heute anhand des Klout-Wertes.
Übertragen auf Körperdaten, sind demnach Versicherungsmodelle denkbar, in denen sich die Höhe der Beitragszahlungen an der »Güte« von Körperdaten orientiert. Steigt der täglich erfasste Körperfettanteil eines Menschen, steigt auch sein Kassenbeitrag. Zwangsabgaben und Sanktionen bei »Fehlverhalten« wären allerdings eine düstere und dystopische Variante des Potenzials eines digitalisierten Körpers. Ebenso wäre es denkbar, mithilfe der oben beschriebenen Gamification-Methoden ein positives Handeln zu belohnen. Wer sich viel bewegt und ein nachweislich gesundes Leben führt, bekommt Beiträge erstattet. Diese Konzepte finden bereits heute Anwendung. So zahlen einige Krankenkassen ihren Kunden beispielsweise Beiträge zurück, wenn sie nachweisen können, dass sie die Yoga-Kurse oder Gesundheitstrainings erfolgreich absolviert haben. Trotzdem: Digital vernetzte Beliebtheitsmesser und das Erfassen und Verarbeiten persönlicher Körperdaten ist und bleibt ein höchst streitbarer Punkt. Fakt ist: In diesem Fall ist die Technik der Gesellschaft mindestens einen Schritt voraus. Was technisch machbar ist, muss noch lange nicht gesellschaftlich akzeptiert sein. Die Debatten und Argumente sind ein Beleg für die aktuell vorherrschenden gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse, die uns einen möglichen Weg in die Zukunft weisen. Was anfänglich von Technikenthusiasten und Forschern in elitären Kreisen veranstaltet wurde, drängt nun immer mehr in die Mitte der Gesellschaft. Die digitale Selbstvermessung ist in vielen Bereichen zu einem festen Bestandteil des digitalen Lebensstils geworden. Wie weit wir diese Entwicklung vorantreiben wollen, wird aktuell auf dem Spielfeld, das wir Gesellschaft nennen, ausgetestet. Dabei gehen wir zwei Schritte vor und einen zurück. Bis wir die nächste Phase der digitalen Gesellschaft erreicht
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