Mein erfundenes Land
einmal tun, gesagt sei nur, daß sie anders als die typischen Chilenen, für die Jammern zum Dasein gehört, immer heiter war, obwohl das Schicksal es nicht gut mit ihr meinte. Niemandem sonst hätte man ein solch unbeirrtes Glücklichsein nachgesehen, doch bei diesem durchsichtigen Geschöpf konnte man es mühelos hinnehmen. Ihre Fotografie steht von jeher auf meinem Schreibtisch, damit ich sie wiedererkenne, wenn sie sich auf die Seite eines Buchs stiehlt oder mir in einem Winkel des Hauses erscheint.
In Chile wimmelt es von Heiligen jedweder Couleur, was einen nicht wundern muß im katholischsten Land der Welt, das katholischer ist als Irland und gewiß viel katholischer als der Vatikan. Vor ein paar Jahren hatten wir eine Jungfrau, die dem heiligen Sebastian wie aus dem Gesicht geschnitten war und bemerkenswerte Heilungen vollbrachte. Die Presse, das Fernsehen und Massen von Pilgern fielen über sie her und ließen sie keinen Augenblick in Frieden. Bei näherer Betrachtung entpuppte sie sich als Transvestit, was aber weder ihren Ruhm schmälerte noch den WundernEinhalt gebot, im Gegenteil. Immer wieder wird vom Auftauchen eines noch unbekannten Heiligen oder neuen Heilbringers berichtet, und hoffnungsvolle Massen pilgern zu ihm hin. Während meiner Zeit als Journalistin, in den siebziger Jahren, sollte ich einmal eine Reportage über ein Mädchen schreiben, von dem es hieß, sie habe prophetische Fähigkeiten und die Gabe, Tiere zu heilen und kaputte Motoren zu reparieren, ohne sie zu berühren. Ihre bescheidene Hütte füllte sich Tag für Tag zur selben Stunde mit Bauern, die jene diskreten Wunder schauen wollten. Sie versicherten, ein unsichtbarer Hagel aus Steinen prassele mit Weltuntergangsgetöse auf das Hüttendach, die Erde bebe und das Mädchen falle in Trance. Ich konnte dem Ereignis zweimal beiwohnen und mich mit eigenen Augen von der Trance überzeugen, in der die Heilige Bärenkräfte entwickelte, erinnere mich jedoch nicht, daß Steinbrocken vom Himmel gefallen wären oder der Fußboden gewackelt hätte. Vielleicht lag das, wie ein ortsansässiger Prediger der Evangelikalen behauptete, an meiner Anwesenheit: Mein Unglaube war dazu angetan, noch das legitimste Wunder zu ruinieren. Jedenfalls schrieben die Zeitungen über den Fall, und das öffentliche Interesse an der Heiligen trieb fleißig Blüten, bis das Militär einschritt und dem Ganzen auf seine Weise ein Ende setzte. Zehn Jahre später konnte ich diese Geschichte in einem meiner Romane verwenden.
Die Katholiken sind die Mehrheit im Land, doch wächst die Zahl der Evangelikalen und Pfingstkirchler, die alle Welt vor den Kopf stoßen, weil sie sich direkt mit Gott verständigen und nicht wie die anderen den Umweg über die klerikale Bürokratie nehmen müssen. Die Mormonen, ebenfalls sehr viele und sehr einflußreich, dienen ihren Anhängern wie einst die radikale Partei als gut funktionierende Arbeitsagentur. Daneben gibt es Juden, ein paar wenige Muslime und in meiner Generation Spiritualisten des New Age, die sich einen Cocktail aus Öko-Ideen, Christentum,buddhistischen Übungen und einigen in jüngster Zeit aus den Indianerreservaten geretteten Riten zusammenrühren und regelmäßig Gurus, Astrologen, Geistheiler und andere Seelenführer aufsuchen. Seit das Gesundheitswesen privatisiert ist und mit Medikamenten Reibach gemacht wird, haben Volksmedizin und östliche Heilmethoden, indianische Schamanen und Heilerinnen – machis und meicas –, heimische Kräuter und Wunderheilungen die Schulmedizin teilweise verdrängt, und die Resultate sind auch nicht übler. Die Hälfte meiner Bekannten hat sich in die Hände irgendeines Geistheilers begeben, der ihr Schicksal lenkt und sie gesund erhält, indem er ihre Aura reinigt, ihnen die Hand auflegt oder sie auf Astralreisen schickt. Bei meinem letzten Besuch in Chile hypnotisierte mich ein Freund, der sich zum Heiler ausbilden läßt, und brachte mich dazu, in mehrere frühere Leben zurückzukehren. Ich hatte etwas Mühe, wieder in die Gegenwart zu gelangen, denn mein Freund hatte seinen Kurs noch nicht abgeschlossen, aber das Experiment hat sich gelohnt, denn jetzt weiß ich, daß ich in keinem meiner früheren Leben Dschingis Khan gewesen bin, wie meine Mutter glaubt.
Es ist mir nicht gelungen, mich ganz von der Religion freizumachen, und wenn ich in Bedrängnis bin, fällt mir als erstes ein zu beten – nur für den Fall –, was übrigens alle Chilenen tun, selbst die Atheisten, pardon:
Weitere Kostenlose Bücher